Viagra im Selbstversuch: Mein blaues Wunder

Zwischen fragenden Apothekerinnenblicken und Rocco-Siffredi-Fantasien: Viagra soll müde Männer wieder fit machen – ein AZ-Reporter hat’s probiert
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Ob man sich mit Viagra so fühlt wie Hugh Hefner inmitten seiner Bunnys? Ein Versuch ist es wert.
imago Ob man sich mit Viagra so fühlt wie Hugh Hefner inmitten seiner Bunnys? Ein Versuch ist es wert.

Zwischen fragenden Apothekerinnenblicken und Rocco-Siffredi-Fantasien: Viagra soll müde Männer wieder fit machen – ein AZ-Reporter hat’s probiert

Soll ich gleich das Ergebnis durchgeben? Harte Fakten, das ist es doch, was Sie hören möchten, oder? Soll er doch nicht lang drumrumschreiben, soll er doch gleich sagen, ob und wie oft und wie stark, ach, am besten alles. Mach ich aber nicht. Dazu war mein Viagra-Selbsttest zu kurios. Aber lesen Sie selbst:

Der Abend fängt damit an, dass ich raus aus dem Büro gehe und miese Laune habe. Lust auf einiges, nicht aber auf Sex. Braucht man aber. Steht im Beipackzettel, Moment ...Brustschmerzen, Sehstörungen, Herzklopfen...nein, das sind die Nebenwirkungen, weiter vorne, da: „Viagra wird Ihnen nur dann zu einer Erektion verhelfen, wenn Sie sexuell stimuliert werden“.

Ach, übrigens: Das mit den Nebenwirkungen, das solle man bitte mal nicht so eng sehen. Sagt Kollege A., dem man auch gerne glauben würde, wenn er nicht seit geschlagenen zwei Tagen darüber reden würde wie über ein bevorstehendes Erweckungserlebnis.

Die Pille regt nicht nur den Schwellkörper an - sondern auch die Phantasie

Aber so ist das eben. Die blaue Pille, die vor ziemlich genau elf Jahren auf den Markt kam, regt nicht bloß männliche Schwellkörper an. Sondern auch die Phantasie.

Gemerkt habe ich das morgens in der Apotheke. Drinnen eine alte Dame bei den Hustenpastillen. Zwei Apothekerinnen. Eine junge, eine ältere. Sofort wünsche ich mir, die ältere möge mich bedienen, ich würde ihr das Rezept überreichen wie einer Behördenfrau ein wichtiges Dokument. Aber dann tritt die Jüngere zu mir, und als ich das Papier hinlege, fühle ich mich plötzlich wie damals, vor vielen Jahren, als ich VHS-Pornokassetten immer der blondierten Videotheksfrau zurückbrachte. Wissend lächelte sie mich an.

Plötzlich höre ich mich reden, rechtfertigen

Die Apothekerin lächelt nicht, sie ist professionell. Sie schaut mich an, schaut auf’s Rezept, dreht sich schweigend um und verschwindet nach hinten. Als sie zurückkommt, legt sie mir eine kleine Packung hin und sagt: „60 Euro“. Ich schlucke kurz und gebe meine EC-Karte. Und dann passiert’s. Das Lesegerät spinnt, die Apothekerin muss die Karte nochmal einführen, mittlerweile hat die alte Dame ihre Hustenpastillen bezahlt, ich spüre, wie eine andere Kundin, so Mitte, Ende Dreißig, erst lange auf die Packung schaut und dann auf mich – und plötzlich höre ich mich reden, rechtfertigen: Selbstversuch, wissen Sie, für eine Reportage, bin von der Zeitung, doch, doch, doch, eine Quittung brauche ich, Danke, Ihnen auch einen schönen Tag.

Draußen das erste Mal seit langem über mein Verhältnis zur Männlichkeit nachgedacht.

Abends auch.

Packung auf, blaue Pille raus, halb acht. Eine Stunde vorher, sagen sie. Passt gut, meine Freundin ist auch noch nicht da. Lust auch nicht.

Überlege, wie ich in Stimmung kommen soll. Mit 14 hätte ich jetzt ein billiges Sexfilmchen auf RTL2 gesehen. Aber erstens bin ich keine 14 mehr, und zweitens läuft auf RTL2 gerade „Stargate Atlantis“, und so pervers ist man nun wieder auch nicht. Kurzzeitig kommt der Wunsch, die idiotischen Pillen einfach ins Klo zu werfen. Schon, weil nicht nur Kollege A. einen den ganzen Tag so angeschaut hat. Sondern auch Kollege B., C. und D. Weil ich ein schwacher Mensch bin, schlucke ich dann doch eine – und spüre: nichts. Keine Brustschmerzen, keine Sehstörungen, kein Herzklopfen. Ist doch auch was.

Im Internet findet sich ja so allerhand

Bier aufmachen mag ich mir jetzt lieber keines, also setze ich mich mit einem Wasser an den Computer und surfe ein bisschen im Internet. Da findet sich ja so allerhand.

Nachher erst fällt mir ein, dass ich stattdessen für meine Freundin eine romantische Stimmung hätte schaffen können. Irgendwas Sinnliches.

So aber sitzen wir später auf der Couch und sehen Marietta Slomka und Heinz Wolf im „Heute Journal“, und dann in der ARD „Hart aber Fair“, was in dem Zusammenhang einen ganz neuen Klang bekommt, leider aber auch nicht sonderlich prickelnd ist.

Man könnte jetzt nochmal, wenn man wollen würde

Wie es das tatsächlich wird, ist eine lange Geschichte. Dass es das noch wird, rein biologisch, liegt aber augenscheinlich an Viagra. Nein, ich fühle mich nicht wie Rocco Siffredi. Aber kräftig, ja. Und gleichzeitig entspannt. Man könnte, das sieht man ziemlich deutlich, jetzt noch mal, wenn man wollen würde – und das macht locker.

Der Abend, der mies begann, endet damit, dass ich kurz vor dem Einschlafen doch noch gute Laune habe.

Am Morgen erwache ich mit tierischen Kopfschmerzen.

Jan Chaberny

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.