Verboten!
Warum die AZ an dieser Stelle nicht mehr über ein Strafverfahren gegen eine Sängerin berichten darf – und das schlecht für die Pressefreiheit ist. Ein Kommentar.
Lieber AZ-Leser,
gerne hätten wir an dieser Stelle über den Fortgang des Verfahrens gegen eine Sängerin, gegen die wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt wird, berichtet. Leider wurde gegen eine andere Zeitung, die genau so wie wir und die meisten anderen der Republik darüber berichtet hat, eine einstweilige Verfügung erwirkt. Demnach ist es untersagt, "über das Ermittlungsverfahren oder den Gegenstand der Untersuchungshaft zu berichten". Andernfalls müsse die Zeitung – in dem Fall "Bild" – bis zu einer viertel Million Euro zahlen.
Außerdem droht der Anwalt der Sängerin bei weiterer Berichterstattung der AZ mit "weitergehenden Ansprüchen" – also zum Beispiel Schmerzensgeldklagen. So wird eine Berichterstattung unmöglich gemacht – das kommt in unseren Augen einem Verbot gleich.
Staatsanwaltschaft machte den Haftbefehl öffentlich
Die AZ ist nicht oft mit der "Bild" einer Meinung. In diesem Fall teilen wir aber die Einschätzung von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, der in der Verfügung "einen Angriff auf die Pressefreiheit" sieht.
Zur Erläuterung: Es war die Staatsanwaltschaft Darmstadt, die den Haftbefehl in einer Mitteilung öffentlich machte. Der Verdacht betraf eine Person, die ihre gesamte Karriere dem öffentlichen Auftreten in einer TV-Show zu verdanken hat. Ihr noch strafrechtlich zu würdigendes Verhalten war Anlass für eine kontroverse – und daher auch wichtige – Diskussion über das Sexualverhalten. Daran haben sich sogar eine Ministerin und Verbände beteiligt.
Die Öffentlichkeit sollte Bescheid wissen
Jetzt hat ein Berliner Gericht diese Berichterstattung gestoppt. Nicht, weil hier von der Presse irgend etwas Falsches behauptet worden wäre. Sondern deswegen, weil erst ein Anwalt und dann schließlich die Richter den kompletten Fall der Privatsphäre zuordnen.
Bei allem Respekt vor der Privatsphäre der jungen Frau: Das kann nicht sein. Nach dem jetzigen Stand wird sie sich in einem öffentlichen Verfahren der Vorwürfe zu erwehren haben. Und die Öffentlichkeit – also der Raum, dem sie ihre Prominenz, ihren Ruhm, ihr einziges Kapital zu verdanken hat – darf und sollte darüber Bescheid wissen.
Wahr oder nicht wahr – das muss das zentrale journalistische Kriterium sein und bleiben, das über eine Zulässigkeit der Berichterstattung entscheidet. Wo kommen wir hin, wenn Politiker und Prominente per Verfügung (mit)entscheiden dürfen, was über sie in der Zeitung steht?
Georg Thanscheidt
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