Uschi Glas nach Enthüllung von Nazi-Vergangenheit ihres Vaters: "Ich wünschte, wir hätten darüber sprechen können"

Was bedeutet Wahrheit? "Ist Wahrheit Meinung, Haltung, ein Gefühl gegenüber etwas oder jemandem?" Dies fragt sich Schauspielerin Uschi Glas in ihrem neuen Buch "Du bist unwiderstehlich, Wahrheit". Uschi Glas, 81 Jahre alt, Film-Ikone, hat sich dafür mehrmals mit Charlotte Knobloch, 93 Jahre alt, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland und Holocaust-Überlebende, getroffen. Knobloch ist ein Vorbild für sie, sagt Glas. Sie verehre sie.
Die beiden Frauen sprechen über Menschlichkeit und Mut, über das Bewahren von Haltung in unsicheren Zeiten. Das Buch ist ein Plädoyer dafür, niemals zu vergessen, auch wenn es manchmal wehtut.
AZ: Frau Glas, gab es heute schon einen Moment, der für Sie besonders wahrhaftig war?
USCHI GLAS: Viele, vor allem bei Gesprächen, wenn ich mit Menschen zu tun habe, mit denen ich mich austauschen kann und dabei muss man nicht immer einer Meinung sein. Aber die Realität ist auch, dass wir in einer Welt leben, in der Krieg immer mehr Mittel der Politik ist. Wahr ist, dass es weder in Israel noch in der Ukraine Frieden gibt. Das ist auch die Wahrheit. Aber ich verliere den Mut und auch die Hoffnung nicht.
"Ich sehe unsere Demokratie in Gefahr"
Was bedeutet Wahrheit für Sie?
An einem Ereignis lässt sich diese leicht festhalten: Der Krieg in Israel hat am 7. Oktober 2023 begonnen, bei einer fröhlichen Feier von Zivilisten, jungen Menschen, die tanzen wollten. Dieses grausame Massaker, das Terroristen der Hamas verübten, ist inzwischen fast schon in Vergessenheit geraten. Plötzlich ging es nur noch um den Krieg in Gaza, der natürlich grausam ist. Aber das Massaker am 7. Oktober hat diesen ausgelöst. Auch das ist für mich die Wahrheit. Zu einer Demokratie gehört Wahrheit. Die hat es schwer in diesen Zeiten und deswegen sehe ich unsere Demokratie in Gefahr.

Im Buch sprechen Sie von weiteren bitteren Wahrheiten: Dass Umfragen in Deutschland zeigen, dass das Vertrauen der Menschen in die Demokratie sinkt und dass Judenhass wieder gesellschaftsfähig geworden ist. Was machen diese Wahrheiten mit Ihnen?
Ich bin entsetzt. Darüber, dass wir nach unserer Vergangenheit, nach den wahnsinnigen Morden, dem Holocaust, mit über sechs Millionen ermordeten Juden, dass wir heute noch einmal auf so einen Weg abrutschen, auf dem offen Antisemitismus gezeigt wird. Und wir wieder auf die Straße gehen müssen, um dem etwas entgegenzusetzen.
Was hat Sie zu Ihrem Buch mit Charlotte Knobloch inspiriert?
Charlotte Knobloch und ich kennen uns schon lange, aber irgendwie auch nicht. Ich habe großen Respekt vor ihr, vor ihrer Geschichte. Weil sie eine Überlebende ist. Dass sie in dem Land der Täter geblieben ist, nie mit Hass oder Gefühlen von Revanche, im Gegenteil, das bewundere ich sehr. Sie interessiert sich nur für den Menschen, der vor ihr sitzt. Diese Frau ist einmalig.
"Uschi, du musst abends in den Spiegel schauen können."
Frau Knobloch kam ein Jahr vor Hitlers Machtergreifung auf die Welt, Sie selbst sind als Nachkriegskind geboren. Wie würden Sie Ihre gemeinsamen Treffen beschreiben?
Sehr besonders. Ich bin im Laufe meines Lebens viel mit jüdischen Menschen zusammengekommen. Nie habe ich von ihnen ein schräges Wort der Ablehnung oder ein Misstrauen gegenüber mir als Deutsche gehört. Das hat mich demütig gemacht. Auch bei meinem ersten Besuch in Israel vor über 50 Jahren waren die Menschen immer freundlich zu mir. Nach dem 7. Oktober habe ich fast jeden Sonntag an den Schweigemärschen in München teilgenommen, um an das Schicksal der Hamas-Geiseln zu erinnern und mich für deren Freilassung einzusetzen. Man muss aufstehen und Mut haben. Mein Vater hat immer zu mir gesagt: “Uschi, du musst abends in den Spiegel schauen können.” Und so gehe ich auch durch das Leben.

Welches Gespräch mit Charlotte Knochbloch ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Es gab viele berührende Momente in unseren Gesprächen. Charlotte Knoblochs Erzählungen über die Nacht der Novemberpogrome, als sie an der Hand ihres Vaters durch München lief, oder die Heldentat des früheren Hausmädchens ihres Onkels, das Charlotte drei Jahre lang auf einem Bauernhof versteckte und damit sein Leben riskierte. Ich habe für Frau Knobloch eine große Bewunderung! Was für ein Mut! Was für Heldentaten! Es gab aber auch viele heitere Momente in unseren Gesprächen. Wir sprachen auch über die Liebe und das Verliebtsein oder über den wunderbaren jüdischen Humor.
Was nehmen Sie für Lehren aus den gemeinsamen Gesprächen mit?
Charlotte Knobloch ist nach dem Krieg mit ihrem Mann in Deutschland geblieben und hat die jüdische Gemeinde wieder mitaufgebaut. Und damit hat sie sich auch immer in den Dienst unserer freiheitlichen Werteordnung gestellt. Frau Knobloch hat Courage, ist immer da, sie wird nicht müde, obwohl sie schon über 90 Jahre alt ist. Wir müssen um unsere Demokratie kämpfen und gegen Intoleranz. Denn Demokratie ist ein sehr fragiles Konstrukt. Sie ist keine Selbstverständlichkeit, auch wenn viele das denken. Es wäre ganz wichtig, dass sich auch die jüngeren Menschen nicht nur in ihrer Blase bewegen, sondern sich erkundigen, verschiedene Quellen lesen, sich nicht nur auf eine Aussage verlassen, reflektieren. Jeder sollte seine eigenen Werte überdenken.
"Mein Vater war in der SS"
Sie haben Anfang des Jahres einen Ahnenforscher beauftragt, um auch Ihre eigene Familiengeschichte in der Kriegszeit aufzuarbeiten. Sie schreiben, dass Schweigen und Verschweigen die Normalität im Nachkriegsdeutschland war. Was für Wahrheiten hätten Sie gerne herausgefunden?
In meiner Schule wurde über den Zweiten Weltkrieg eigentlich nicht gesprochen. Und auch zu Hause war das kein Thema. Aber ich wollte wissen, wie mein Vater und meine Großeltern zu Hitler standen. Mein Vater hat immer nur gesagt: “Uschi, du verstehst es nicht.” Irgendwann hörte ich auf, Fragen zu stellen, und ich habe mit meinem Vater Frieden gefunden, bevor er gestorben ist, obwohl er mir nichts erzählen wollte. Sein Credo lautete wie gesagt: „Uschi, abends musst du in den Spiegel schauen können.“ Damit wollte er sagen, man muss ehrlich mit sich sein. Mit dem Wissen von heute stellt sich dieser Satz für mich anders da. Denn vielleicht hat er selbst nicht in den Spiegel schauen können, weil er sich schämte. Aber ob das so war, weiß ich natürlich nicht.
Was hat der Ahnenforscher genau über Ihren Vater herausgefunden?
Mein Vater ist als junger Mann, mit 18 Jahren, in die NSDAP eingetreten, das war 1931. Ich kenne nicht seine Beweggründe. War er von Hitlers Partei überzeugt? Trat er ein, weil viele es damals machten? Das werde ich nie erfahren. Gegen Ende des Krieges war mein Vater dann in der SS. Auch dazu fehlen mir außer der Tatsache an sich jegliche Anhaltspunkte. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten darüber zu seinen Lebzeiten sprechen können. Vielleicht hätte er es erklären können. Als ich jetzt davon erfahren habe, war ich schon sehr geschockt. Ich war gerade dabei, das Buch über Wahrheit zu schreiben. Und jetzt war ich mit einer Wahrheit konfrontiert, die wirklich weh tat. Aber man kann sich die Wahrheit nicht immer aussuchen, man muss mit ihr leben und offen umgehen. Und genau das ist auch eine der Kernbotschaften des Buches.
Die Schauspielerin Uschi Glas erlebte ihren Durchbruch 1968 im Film "Zur Sache, Schätzchen". Heute wirbt die Film-Ikone zudem aktiv für die Osteoporose-Vorsorge und macht auf die Erkrankung aufmerksam.

Uschi Glas trifft Charlotte Knobloch: „Du bist unwiderstehlich, Wahrheit“, Mosaik-Verlag, 22 Euro.