"Saufen, Sex und Schreiben"

Regisseur, Autor, Schauspieler: Der Dichter Franz Xaver Kroetz ist schon vieles gewesen – nun ist er als Brandner Kaspar im Kino zu sehen. Ein Ereignis
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Siegerpose: Franz Xaver Kroetz.
AZ Siegerpose: Franz Xaver Kroetz.

Regisseur, Autor, Schauspieler: Der Dichter Franz Xaver Kroetz ist schon vieles gewesen – nun ist er als Brandner Kaspar im Kino zu sehen. Ein Ereignis

Franz Xaver Kroetz ist vor kurzem aus Tenerriffa zurückgekehrt, die Zeit sei günstig für ein Gespräch, sagt die Pressedame, der Dichter sei entspannt. Das ist Kroetz wirklich – und dazu mindestens ebenso schlitzohrig wie der „Brandner“, den er gerade im Kino spielt.

AZ: Herr Kroetz, wenn man sich den „Brandner Kaspar“ anschaut, fällt auf, dass Sie sich in Ihre Rolle reingeworfen haben. Was hat Sie an dem Stoff gereizt?

FRANZ XAVER KROETZ: Schön, dass Sie das sagen. Ich war mir am Anfang nämlich gar nicht sicher, ob ich das spielen mag. Ich weiß noch, ich hab’ gerade am Resi inszeniert, als mir jemand steckte, dass der Vilsmaier mich sprechen wolle. Ich hab’ ihn dann vom Handy aus zurückgerufen.

Wieso waren Sie nicht sicher?

Ach, eigentlich ist das Stück von Kurt Wilhelm ein sentimentaler Schmarrn. Mit der braven Nannerl! Und den ganzen Weißwürsten im Himmel! Ich hab’ mir mal, das war 1976, eine Wilhelm-Inszenierung am Resi angesehen, und da war der Brandner Kaspar eine dumme Rolle. Das war da ein ängstlicher Wicht. Sowas wollte ich nicht spielen.

Wie hat Vilsmaier Sie letztlich überzeugt?

Wir haben uns getroffen und viel geredet. Mir war der Vilsmaier gleich sympathisch, aber ich habe sein Angebot, das Drehbuch zu schreiben, trotzdem abgelehnt. Ich kann so etwas nicht. Aber der Klaus Richter hat das sehr gut gemacht. Der Brandner Kaspar ist jetzt eine dolle Figur.

Und Ihnen, in seiner Schlitzohrigkeit und Tatkraft, nah?

Was reden Sie da? Das ist ein Büchsenmacher, ein Wilderer. Und ich bin ein Schriftsteller.

Sie haben mal von sich gesagt, Sie seien ein „kreativer Macho“...

Das haben Sie irgendwo ganz schlau gelesen, gell?

Stimmt es denn nicht?

Ich weiß doch heute nicht mehr, was ich mal in einem Interview gesagt habe. Aber es kann schon sein.

Gut. Den Brandner Kaspar, der dem Tod noch ein paar Jahre ablistet, könnte man ja auch so beschreiben...

Ja, vielleicht haben Sie recht. Wahrscheinlich sind wir vom Temperament her gleich. Wir sind zwei Grantler, zwei Eigenbrötler. Im Grunde zwei herbstliche Draufgänger.

Sie gehen gerade Ihre Tagebücher aus den Jahren zwischen 1967 und 1982 durch, also von dem Zeitpunkt aus, als Sie 21 waren. Wenn Sie die Aufzeichnungen von damals heute lesen – was sehen Sie für einen jungen Mann?

Ich sehe da einen Menschen, dessen Leben sich ausschließlich um drei Dinge gedreht hat: Um Saufen, um Sex, und um das Schreiben.

Woher kam dieser Drang zum Schreiben?

Das weiß ich nicht mehr. Das habe ich lange vergessen.

Sie haben damals viele so genannte sozialkritische Stücke geschrieben...

Ich habe geschrieben, weil ich damit Geld verdient habe. So. Ich hab’ mit 15 angefangen, und dann, nach zehn Jahren, mit 25, endlich Erfolg gehabt. Dann habe ich eben immer weiter geschrieben.

Heute schreiben Sie keine Stücke mehr. Sie haben gesagt, sie seien 2004 verstummt.

(laut) Verstummt – was Sie immer lesen! Ich bin doch nicht verstummt. Ich schreibe gerade an neuen Kurzgeschichten, ich arbeite an einem Roman, ich hab’ noch viel zu sagen. Nur schreibe ich eben keine Theaterstücke mehr.

Warum nicht?

Wenn das Schreiben kein Befreiungsprozess mehr ist, sondern ein Vergiftungsprozess, dann sollte man die Freiheit haben zu sagen: Gut, dann höre ich eben auf.

Kleines bisschen Wehmut?

Nein. Ich bin glücklich, dass ich damit fertig bin. Dass es aus ist. Vorbei. Basta. Wissen Sie, ich hätte heute gar nicht mehr die Kraft, ein Theaterstück zu schreiben. Dafür muss man jung sein.

Wieso?

Man muss sich in einen Text reingraben, über zwei, drei Wochen, die Spannung steigern. Das ist sehr anstrengend. Während man schreibt, schläft man nur drei, vier Stunden, man darf nie abschalten. Dazu braucht man Kraft, und die haben nur die Jungen.

Beobachten Sie denn junge Dramatiker?

Ehrlich gesagt: eher nicht. Das meiste, was geschrieben wird, ist eh infantiles, privatistisches Befindlichkeitszeug. Uninteressant. Da greift keiner mehr soziale oder politische Strukturen auf. Heute gibt es keinen Rolf Hochhuth mehr. Der hat das noch getan.

Sie waren ein oft wilder, zorniger Schreiber. Sind Sie mit dem Alter milder geworden?

Ich bin nicht mehr so getrieben, ja. Ich bin ausgeglichener, ruhiger. Und ich kann heute Erfolg besser genießen.

Franz Xaver Kroetz, der entspannte Familienmensch?

Familie hab’ ich keine. Ich lebe getrennt von meiner Frau.

Naja, aber Sie sehen sich doch sehr häufig?

Das stimmt. Nahezu täglich. Und Kinder zu haben, das ist schon ein Vorteil. Ich habe jetzt viel mehr Zeit als früher. Meine Tochter Josephine ist jetzt 19, und hat definitiv mehr von ihrem Papa als sie es in den 80ern gehabt hätte.

Damals sind sie mit der Rolle des Klatschreporters „Baby Schimmerlos“ berühmt geworden. Ein Wort zur Münchner Schickeria bitte.

Ganz ehrlich: Die interessiert mich ungefähr so, wie wenn im Pasinger Bahnhof ein Radl umfällt. Ich kaufe mir manchmal die „Bunte“, da lache ich mich tot. Aber im Ernst: Die so genannte Promi-Welt ist wichtig, weil sie viel über die Zeit sagt, in der wir gerade leben. Aber es ist nicht meine Welt.

Zur Premierenparty am Wochenende werden Sie in diese Welt eintauchen müssen.

Da hat man keine Wahl. Ich saß auch bei Gottschalk auf der Couch. Die vom Verleih erpressen einen ja regelrecht zu solchen Terminen.

Aber ein bisschen Freude Sie sich doch schon, oder?

Na klar. Meinen Kindern hat der Film gut gefallen. Das war mir sehr wichtig.

Interview: Jan Chaberny

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