Mehr als die Brille: Fernsehmoderatorin Ilona Christen stirbt mit nur 58 Jahren
Die Talkshow-Pionierin Ilona Christen erliegt in der Schweiz einer Blutvergiftung – und hat in den 90ern Deutschland verändert
Sie kaufte den Apfel beim türkischen Obsthändler, um ihm dem Bauarbeiter als Zwischenmahlzeit in den Abflusskanal zu werfen, begegnete einem Indianerhäuptling in der Fußgängerzone, wurde fast von einer Putzfrau durchnässt und spazierte doch noch trockenen Fußes, mit roter Brille und im gelben Kostüm zu ihren Gästen ins Studio.
Mit diesen Bildern begann für Millionen Deutsche in den 90ern der Nachmittag. Dann war Ilona-Christen-Zeit, Zeit zum Reden. Jetzt ist die Talkshow-Pionierin gestorben – mit nur 58 und unter Umständen, die so lapidar und gleichsam traurig sind wie viele der Schicksale, von denen sie in ihren Sendungen erzählte.
„Abenteuer Kaffeefahrt und „Ich will nicht länger dick sein“
Ein simpler Sturz wurde der gebürtigen Saarbrückerin in ihrer 4000-Einwohner-Wahlheimat Ennetbürgen am Vierwaldstätter See zum Verhängnis. Aus einem Bluterguss unter der Haut habe sich eine Blutvergiftung entwickelt, berichtet ihr Ehemann Ambros Christen. „Meine Frau hat ihr Leben lang intensiv und hart gearbeitet. Das ging nicht spurlos an ihrem Körper vorbei. Die nötige Kraft und Robustheit haben ihr nun gefehlt, um den tödlichen Verlauf der Krankheit abzuwehren.“
Einem breiten TV-Publikum wurde Christen 1986 mit der Moderation des ZDF-Fernsehgartens bekannt. Sieben Jahre später wurde sie auf RTL das weibliche Pendant zu Hans Meiser, dem Urvater der nachmittäglichen Talkshow, dem damals schon ein wenig das Altherrenhafte anhing. Themen wie „Abenteuer Kaffeefahrt“ oder „Ich will nicht länger dick sein“ waren dabei sicher nicht jedermanns Sache, verschafften jedoch jenen eine Stimme, die bisher im Fernsehen kaum zu Wort kamen. Zudem schien Christen aufrichtig nach Lösungen zu suchen – im Gegensatz zu vielen ihren Epigonen, die später gern mal Gäste aufeinander hetzten (oder gleich Billig-Schauspieler casteten).
Bizarre Zwischenfälle bereiten ihr schlaflose Nächte
„Sie hatte ihr Herz am rechten Fleck, sprach frei von der Leber weg und in klaren, unverschnörkelten Sätzen das aus, was der Zuschauer insgeheim gedacht hat“, sagt der ehemalige RTL-Geschäftsführer Helmut Thoma der AZ. Seine Frau Danièle war privat sehr eng mit Christen befreundet. „Auch die Zuschauer verlieren in ihrer Erinnerung einen guten Kumpel.“
Selbst wenn der gelegentlich etwas hilflos wirkte: In einer berüchtigten Folge zum Beispiel gestand eine Frau ihrer Freundin, dass sie seit sieben Jahren ein Verhältnis mit deren Ehemann habe. Dieser wiederum outete sich dann beiden überraschten Frauen als schwul, woraufhin der zwölfjährige Sohn des Paares schreiend aus dem Studio lief.
Für Ilona Christen waren solche Vorfälle traumatische Anlässe, Sinn und Zweck ihrer Arbeit zu hintertragen: „Das hat mir schlaflose Nächte bereitet“, sagt sie in einem ihrer letzten Interviews.
„Ich habe vor der Kamera fertig“
Als dann auch noch die Zuschauerzahlen zurückgingen und zugleich der Quotendruck immer härter wurde, zog die Moderatorin einen radikalen Schlussstrich: „Ich habe vor der Kamera fertig“, verkündet sie 1999: „Es geht inzwischen nicht mehr um Themen, sondern nur noch um Einschaltquoten.“ Sie wolle künftig fotografieren und auf Reisen gehen. „Die öffentliche Ilona Christen gibt es ab jetzt nicht mehr.“
Und tatsächlich zog sich die Journalisten dann im besten Moderatorinnenalter komplett vom Bildschirm zurück, meldete sich nur noch gelegentlich als scharfe TV-Kritikerin zu Wort. Den Abschied von Kamera und Scheinwerfern bereute sie jedenfalls nie: „Ohne Fernsehen bin ich glücklich und frei.“
Timo Lokoschat, Froben Homburger
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