Martin Semmelrogge: Das ewige Schlitzohr wird 70

Mit 70 verläuft das Leben in ruhigeren Bahnen. Außer bei Martin Semmelrogge. Dem Kult-Schauspieler mit dem unverwechselbaren Grinsen und der schnoddrigen Reibeisenstimme ist weiterhin alles zuzutrauen. "Ich bin immer noch ein Kindskopf", sagt er über sich. Dem können Generationen von Film- und TV-Fans, Regisseuren, Insolvenzvollstreckern und Vollzugsbeamten beipflichten. Am Montag feiert er seinen runden Geburtstag.
Endlich Ruhe auf "Semmel-Land"?
Die kleine Finca in der Nähe von Campos heißt "Semmel-Land." Hier im Süden Mallorcas regiert und residiert Martin Semmelrogge seit 2014. Bereits seit 2001 hat er seinen festen Wohnsitz auf Deutschlands liebster Ferieninsel. Ein Tribut an seinen lebenslangen Freiheitsdrang. Wie er in einem TV-Interview mit "Sat.1" betont, ist er vor allem "wegen des Flughafens" ausgewandert. Die Möglichkeit, jederzeit zu neuen Ufern aufbrechen zu können, reizt ihn.
Dennoch zieht er hier einem rastlosen Leben ab und an den Stecker. Dafür, dass all das in geordneten Bahnen verläuft, sorgt seine Ehefrau, Managerin und "Finanzministerin" Regine, die er 2023 heiratete. Es ist seine dritte Ehe. Seine beiden Kinder Dustin (45) und Joanna (35) arbeiten, wie er, als Schauspieler und stammen aus weiteren Beziehungen vor und zwischen seinen früheren Ehen. Semmelrogges bisheriges Privatleben könnte Drehbücher füllen.
Durchbruch als jugendlicher Vorstadt-Ganove
Semmelrogge ist der älteste Sohn der Berliner Schauspiel-Legende Willi Semmelrogge (1923-1984). Geboren im schwäbischen Eckwälden wuchs er als "Landkind" auf. Schon damals war er mit großem Bewegungsdrang ausgestattet. Er "hackte die Rüben des benachbarten Bauern aus der Erde", wenn er nicht die örtliche Waldorfschule besuchte.
Gleichzeitig lernte er früh die Bühne als natürlichen Lebensraum kennen. Mit zwölf startete er als Hörspielsprecher beim Bayerischen Rundfunk. In den 1970er-Jahren folgten erste TV-Produktionen. Vor allem der Kinderfilm "Die Vorstadtkrokodile" (1977) hinterließ bei der Boomer-Generation bleibenden Eindruck hinterlassen. Semmelrogge verkörperte darin derart glaubhaft einen jugendlichen Klein-Ganoven, dass ihm diese Rolle in allen Ausprägungen bis heute erhalten blieb.
An Bord des Welterfolgs "Das Boot"
In die 1880er-Jahre startete Semmelrogge mit dem Glücksfall seines Lebens. Nach mehreren Rollen in TV-Krimis wie "Derrick" oder "Der Alte" betrat er die gleichzeitig muffig enge wie ganz große Bühne. In dem Welterfolg "Das Boot" (1981) sorgte er als spitzbübischer Wachoffizier dafür, dass an Bord der U96 über und unter Wasser keinerlei Langeweile aufkam.
Semmelrogge und seine U-Boot-Kollegen wurden zu Weltstars. Und er kreierte jene typisch schnoddrige Aura, die seine späteren Rollen prägte: kein strahlender Held, aber einer, der im Gedächtnis bleibt. Ein "Unterschiedsspieler", wie man im Fußball sagt. Und noch einmal, 1993, betrat Semmelrogge als SS-Offizier in "Schindlers Liste" internationales Terrain. Doch oft genug tauchte er auch in den gesellschaftlichen Untiefen ab.
Martin Semmelrogge: "Ich hab's übertrieben"
Martin Semmelrogge und Pippi Langstrumpf verbindet einiges. Und damit sind nicht die roten Haare gemeint. Beide starteten zur selben Zeit ihren Siegeszug beim deutschen Publikum. Und beide leben ihren Hang zur Anarchie frei aus. Auch Semmelrogge macht sich die Welt seit sieben Jahrzehnten, wie sie ihm gefällt. Dafür gilt er bei Fans als ehrlich und unbeugsam.
Der Preis der persönlichen Freiheit ist derweil hoch. Allzu oft verwechselte Semmelrogge Rolle und Realität und geriet mit dem Gesetz in Konflikt. Wegen Alkohol, Drogen und wiederholter Fahr- und Verkehrsdelikte stand er laut dem "Tagesspiegel" "bis 2012 mehr als 30 Mal vor Gericht". Bereits in den 1980er-Jahren verbüßte er insgesamt 28 Monate Haft wegen Drogenbesitzes, Trunkenheit am Steuer und anderer Delikte. 2004 wurde er wegen mehrfachen Fahrens ohne Führerschein zu 17 Monaten Haft verurteilt. "Ich hab's übertrieben", gibt er in einem Interview vor drei Jahren zwar zu. Gleichzeitig relativiert er: "Wahnsinn, da hätte ich ja einen umbringen können und hätte weniger bekommen."
"Ich bin ein Star - ich darf nicht rein"
Sein Vorstrafenregister war 2023 auch den australischen Behörden ein Stückchen zu lang. Semmelrogge war, wie Sohn Dustin 2004, fest für Staffel 16 des RTL-Dschungelcamps gebucht. Doch anders als sein Sprössling, der nach drei Tagen das Camp freiwillig verließ, nahm Vater Martin keine Sekunde teil. Er saß angeblich bereits im Flieger, als ihm die Einreise nach Down Under verweigert wurde. Kein Visum bedeutete null Dschungelprüfungen und deshalb null Sterne für ihn.
Besonders tragisch muss es für ihn gewesen sein, die weiteren Folgen der Show am heimischen Fernseher mitzuverfolgen: Ausgerechnet seine Ersatz-Kandidatin Djamila Rowe (58) gewann die Staffel und wurde zur Dschungel-Königin gekrönt. Und Semmelrogge hatte - wieder einmal - eine riesige Chance verpasst.
"Du kannst zum König oder Helden werden"
Trotz zahlreicher Rückschläge hält sich der ehemalige U-Boot-Insasse weiter tapfer über Wasser. Ob auf der Bühne, in kleineren Film- und TV-Rollen, in Realityshows oder als deutsche Stimme des Hörbuchs von Motörhead-Frontmann Lemmy Kilmister (1945-2015): Semmelrogge ist präsent und veredelt noch immer jede Produktion mit seiner typisch dreckigen Lache und einem Schuss Irrsinn. Seine Lebensphilosophie fasst er so zusammen: "Du kannst aus der kleinsten Chance etwas machen und zum König oder Helden werden." Oder anders gesagt: "Wer immer nur versucht, keinen Fehler zu machen, kann nie wirklich gut sein."
Und wer glaubt, dass er sich mit 70 zur Ruhe setzt, irrt kolossal. Semmelrogge hält sich mit allerlei Sport fit und bleibt beruflich am Ball. Schon 2022 gab er in einem Interview mit dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" einen Ausblick auf die kommenden Jahrzehnte: "Ich befinde mich vielleicht gerade am Beginn meiner Zugabe", lacht er. Seine nächsten Vorhaben geht er in typischer Semmelrogge-Manier an: Rogg'n Roll!