Linda Gray: Für immer Sue Ellen

Die Welt sah in ihr jahrzehntelang nur die leidende Ehefrau von J.R. Ewing. In Wahrheit kämpfte sich Linda Gray durch ihr eigenes, oft schmerzliches Leben.
von  (ln/spot)
"Dallas"-Ikone Linda Gray 2018 in Soltau.
"Dallas"-Ikone Linda Gray 2018 in Soltau. © ddp/ r_fotos

Natürlich ist sie älter geworden, auch sichtbar. Schließlich wird Linda Gray am 12. September 85 Jahre alt. Doch unverkennbar trägt sie - wie seit Jahrzehnten - ihr Markenzeichen im Gesicht: das Lächeln, immer noch ein bisschen schmerzlich, einerseits.

Andererseits ist es ein typisch amerikanisches Lächeln. Man glaubt, mindestens 50 strahlend weiße, ebenmäßige Zähne zu sehen und fragt sich unwillkürlich: Lächelt sie noch, oder beißt sie gleich zu?

Es ist das Lächeln der Sue Ellen Ewing, ihr Alter Ego seit 47 Jahren. Sue Ellen bestimmte das Berufsleben der Schauspielerin Linda Gray. Die erfolgreichste Phase. Von 1978 bis 1991, dann noch mal von 2012 bis 2014 war sie Sue Ellen. Die bedauernswerte Ehefrau des Kotzbrockens J.R. Ewing in der TV-Kultserie "Dallas".

Jedes Mal, wenn dieser teuflische Typ seine Frau hintergangen oder sonst irgendwie fertig gemacht und die sich vor lauter geistiger Erschöpfung ein Glas Whisky zu viel gegönnt hatte, seufzte die halbe Welt: die arme Sue Ellen.

Linda Gray verkörperte die hintergangene Ehefrau, die sich Frust und Verzweiflung von der Leber trank, ein Bild des Jammers. Eigentlich eine rasch anödende Rolle. Gray hat ihr so viel überzeugende Leidenskraft verliehen, dass sie zur Lebensaufgabe wurde, was auch die Welt so wahrnahm. Diese Welt kann ziemlich mitleidlos sein. Sie sieht fast nur Sue Ellen, kaum den Menschen dahinter: Linda Gray.

Linda Gray verlor ihren Sohn an Leukämie

Als vor fünf Jahren ihr Sohn Jeff Thrasher im Alter von 56 Jahren an Leukämie starb, wurde überwiegend die Kunstfigur Sue Ellen bedauert, während die wahre Mutter Linda Gray mit gebrochenem Herzen ein Foto von Jeff auf ihrem Instagram-Account hoch lud und dazu schrieb: "Eine Feier für das Leben meines Sohnes Jeff. Er war der freundlichste, lustigste, süßeste Mensch... er brachte der Welt solche Liebe und wurde von allen geliebt! Möge seine Reise eine magische sein."

Man kann ihr alternatives Dasein als Schauspielerin in zwei Abschnitte einteilen: vor Dallas", nach "Dallas". Vor "Dallas" war nicht viel, wobei - einen Welterfolg hatte sie schon: Leider sah man dabei nur ihre untere Hälfte. 1967 wurde sie für den Hollywoodfilm "Die Reifeprüfung" mit Stars wie Anne Bankcroft und Dustin Hoffman engagiert. In einer berühmten Szene will die reife Mrs. Robinson (Anne Bankcroft) den jungen Benjamin (Dustin Hoffman) verführen. Sie rollt lasziv ihre Strümpfe runter und man sieht die Beine von - Linda Gray. Die von Anne Bankcroft waren dem Regisseur Mike Nichols offenbar nicht schön genug. Immerhin bekam er für diese Arbeit einen Oscar, und den hat wohl auch Linda Gray ein bisschen mitverdient.

Ansonsten modelte die Kalifornierin, trat in Werbespots auf, hatte kleine Filmrollen. Dann kam 1978 "Dallas", eine beispiellos erfolgreiche Seifenoper um Geld, Macht und Intrigen rund um die Familie Ewing auf der Southfork Ranch in Texas. Unumstrittener Mittelpunkt: J.R. Ewing (Larry Hagman), der Freunde, Feinde und alle Familienmitglieder austrickst und seine Ehefrau Sue Ellen gängelt und betrügt.

Die Serie lief bis 1991 und wurde später noch mal kurzzeitig wiederbelebt. "Dallas" wurde in 70 Sprachen übersetzt und in 90 Ländern ausgestrahlt, ab 1981 auch in Deutschland. Später sagte Linda Gray über ihren großen Erfolg: "Dallas zu bekommen war für mich ein Katalysator, weil es so viele Türen, Philosophien und Ideen geöffnet hat. Wir alle - Larry Hagman, Patrick Duffy und ich selbst - waren arbeitslose Schauspieler, die zufällig einen Job bekamen, und dieser Job hieß Dallas. Wir hatten keine Ahnung, dass er ein Erfolg werden würde, also dachten wir: 'Oh, hier sind wir und geben unser Bestes.'"

Sue Ellen machte Alkoholismus zum Gesprächsthema

Die Rolle der frustrierten, ständig angetrunkenen Sue Ellen hatte für Linda Gray auch eine bewusstseinsfördernde Funktion. Es sei "ein großer Verdienst" der Serie gewesen, die Probleme des Alkoholismus zu einem gesellschaftlichen Gesprächsthema zu machen, erklärte sie. "Bis heute gestehen mir Leute, dass sie sich nur deshalb trauten, zu den Anonymen Alkoholikern zu gehen." In Deutschland bekam sie dafür den "Bambi".

Linda Gray, die selbst kaum Alkohol trinkt, kennt Ehedramen und Alkoholismus aus eigener Erfahrung. Die Ehe ihrer Eltern war eine einzige Katastrophe, die Mutter war Alkoholikerin. Sie selbst habe die Mutterrolle "in einem sehr jungen Alter übernommen. Meine Schwester und ich standen in der Küche und ich sagte, was wir kochen sollten. Da war sie ja erst fünf Jahre alt."

Auch die eigene Ehe mit dem Fotografen und Grafiker Ed Thrasher (1932-2006) war nicht glücklich. Ihr Mann sei ein Despot gewesen, sagte sie in einem Interview: "In unserem Haus kam ich mir wie das Dienstmädchen vor. Jeden Morgen hing ein gelber Zettel am Kühlschrank. Eine To-do-Liste für Linda: Bügel meine Hemden, wasch das Auto, bring den Hund zum Tierarzt, streich die Veranda, fütter die Hühner."

Nach 21 Ehejahren (1962-1983) ließ sie sich scheiden. "Ich zog nach Malibu. Meine Kinder waren sauer auf mich. Nach der Scheidung zog ich auf unsere Ranch, auf der ich heute noch wohne."

Die Trennung habe sie alle Freunde gekostet. "Sie schlugen sich auf die Seite von Ed, kümmerten sich um ihn. Niemand lud mich mehr ein. Ich war erfolgreich, attraktiv und Single. Da wollten andere Frauen mich nicht um ihren fetten, alten Ehemann herum haben. Und meine Kinder machten mich dafür verantwortlich, dass ich die Familie auseinandergerissen hatte."

Ihr bester Freund: Larry Hagmann

Ausgerechnet ihr Film-Ehemann Larry Hagmann und seine Frau Maj kümmerten sich rührend um Linda. "Sie wurden mein Hafen im Sturm." Es war ein Verhältnis, "wie das eines älteren Bruders zu seiner kleinen Schwester. Jahrelang begutachtete Larry jeden Mann, der mein Leben kreuzte. Keiner war ihm gut genug für mich. An jedem hatte er etwas auszusetzen. Es war zum Totlachen."

Die Zeiten von "Dallas" sind längst vorbei, der Freund Larry Hagman ist 2012 mit 81 an Kehlkopfkrebs gestorben. Es wurde ruhig um Linda. Sie hatte einige kleinere Rollen und Aufträge als Regisseurin und Produzentin, trat auch in der beliebten TV-Serie "Hollyoaks" auf. Sie engagierte sich für Frauenrechte und eine bessere Gesundheitsvorsorge, war von 1997 bis 2007 sogar "UN-Botschafterin des guten Willens".

Und sie schrieb ein Buch über ihre Erfahrungen mit dramatischen Lebenseinschnitten wie eine überstandene Kinderlähmung, das Alkoholdrama im Elternhaus und den Tod ihrer jüngeren Schwester (Brustkrebs). Ihre Autobiografie "The Road to Happiness" wurde ein Bestseller, auch weil es sich wie ein persönlicher Leitfaden zum würdevollen Altern liest. "Ich will Frauen ermutigen, dass mit 40 das Leben noch nicht vorbei ist."

Manchmal erlebt sie in ihrem Alltag noch Rückfälle in die Zeiten von Sue Ellen: "Wenn ich mal im Restaurant ein Glas Wein trinke, höre ich öfters am Nebentisch flüstern: 'Ich hab doch gleich gedacht, dass die wieder säuft!'"

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