Heesters: „Nichtstun liegt mir nicht“

Selbst an seinem 105. Geburtstag steht Jopie in Hamburg auf der Bühne – als „Kaiser“ und fit wie eh und je.
von  Abendzeitung

Selbst an seinem 105. Geburtstag steht Jopie in Hamburg auf der Bühne – als „Kaiser“ und fit wie eh und je.

Sagen Sie, wie lange muss ich noch stehen? Man ist ja schließlich keine 100 mehr!“ Lachen und Jubel im Publikum in der Hamburger Komödie Winterhuder Fährhaus – und auf der Bühne wird sogleich ein goldener Prunksessel herbei geschoben für Johannes Heesters. Pardon, natürlich für Seine Majestät, denn eben die Rolle des greisen österreichischen Kaisers Franz Joseph spielt „Jopie“, wie ihn die Kollegen hier alle liebevoll nennen, in diesen Wochen in Ralph Benatzkys Singspiel-Klassiker „Im weißen Rössl“. Abend für Abend, auch an seinem morgigen 105. Geburtstag.

Ein biblisches Alter – doch die Wünsche des 1903 im niederländischen Amersfoort geborenen Schauspielers sind ganz irdisch. Erst einmal will er ausschlafen: „Vor zehn Uhr soll mich bitte niemand anrufen“, bittet er. Mittags hofft die singende Legende auf holländische Heringe, seine geliebten Matjes, abends auf eine erfolgreiche Vorstellung. „Ich muss arbeiten. Nichtstun liegt mir nicht.“

Doch nicht allein diese Selbstdisziplin sorgt für Bewunderung im Publikum. „Ein ganz starker Auftritt“, zollt die 40 Jahre jüngere Rentnerin Inge Flohr auch dem Schauspieler Heesters nach der Aufführung Respekt. „Und dann diese Singstimme.“ Ihr Mann Klaus (67) kann es noch immer nicht so recht fassen, wie der Methusalem sein Lied „’s ist einmal im Leben so“ grad gemeistert hat.

Heesters bleibt im Text hängen - seine Frau souffliert

Und in der Tat: Die kräftige Stimme füllt den Raum, aus voller glockenklarer Kehle stimmt er die Weisheiten an, die der Kaiser der Rössl-Wirtin Josepha ins Lebensmerkbuch singt. Und mag auch nicht jeder Ton getroffen sein, der Entertainer in seinem Text einmal hängen bleiben – seine Frau Simone Rethel (59), wie stets auch in den zwei Monaten dieses Engagements an seiner Seite, souffliert sofort aus dem Hintergrund. Was rührt und beeindruckt, sind die Würde und Weisheit seines Auftritts – und die verkörpert die lebende Theatergeschichte Heesters nun einmal wie kein Zweiter.

„Wer repräsentiert am eindrucksvollsten Lebenserfahrung?“, hatte sich denn auch Theater-Intendant Michael Lang gefragt, als er über die Besetzung der Kaiserrolle nachsann – und ist jetzt mehr als glücklich, dass „Jopie“ zugesagt hat. Der sei nämlich nicht nur „unglaublich lebensfroh und voller Tatendrang“, sondern ist nach wie vor mit großer Begeisterung dabei.

So hat sich der Mann mit dem wenig gekämmten schlohweißen Schopf extra einen Backenbart für seine Rolle wachsen lassen. Und wirkt nun in der weiß-roten Uniform, zwei Orden auf der linken Brustseite und ein Zweispitz auf dem Kopf, wahrhaft majestätisch. Sein Auftritt – allabendlich um kurz nach halb zehn – dauert zwar nur kurz, doch diese zehn Minuten haben es in sich: Huldvoll die Gesten, das berühmte, gedehnte, rollende „rrr“ erinnert an seine früheren Filme und Theaterstücke, und vor dem inneren Auge vieler im überwiegend bereits pensionierten Publikum taucht noch einmal der singende Charmeur alter Schule auf, mit Frack, weißem Seidenschal und Champagnerglas in der Hand.

„’S war sehr schön, hat mich sehr Freude“, verkündet der Kaiser zum Abschied. Und entsprechend gibt es Szenenapplaus für Seine Majestät, den dienstältesten Schauspieler der Welt – und dafür, dass Johannes Heesters an diesem Abend den uralten Traum vom ewigen Leben wahr werden lässt. Wenn auch nur für zehn vergnügliche Operetten-Minuten.

Christoph Forsthoff

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