„Ein Kindskopf bleiben“
Wird er wirklich älter oder „zeitelt“ er nur? Der Münchner Kabarettist über das Bewegen in der Zeit und den Unterschied zwischen Gemütlichkeit und Griabigkeit
AZ: Herr Polt, Sie werden am Montag 70. Sie selbst unterscheiden stark zwischen Älterwerden und Altwerden.
GERHARD POLT: Klar ist da ein Unterschied. Älterwerden kannst Du und trotzdem ein alter Kindskopf bleiben. Du bist betagt, aber nicht alt. Du oidlst nicht. Du nimmst Anteil, bist neugierig, gibst bestimmte Aktivitäten ungern auf oder wandelst sie um in andere. Das hat mit Interesse zu tun, mit Lebenslust, mit Freude. Und Altwerden, mein ich halt, ist ein Rückzug, ein sich Überlassen dem Alter, ohne Widerstand. Sich dem Fernseher und der Fadheit übergeben.
Und wenn Älterwerden und Altwerden doch eins werden?
Ja klar, wenn man so herumheestert… Wenn man halt buchstäblich physisch nimmer kann und trotzdem nach außen hin irgendwas darstellen soll, dann stellt sich die Frage nicht mehr. Weil wenn ich über meinen Körper nicht mehr der Herr bin, sondern der Knecht, was soll ich dann noch machen? Dann stellt sich statt dessen die Frage des Werdens im eigentlichen Sinn: Du machst nichts mehr, sondern du wirst. Nicht mehr: Ich bin gesund, sondern ich werde… krank (lacht).
Es soll Leute geben, die sagen, dass Sie beim Tennis nicht mehr so schnell sind.
Man kann ja flexibel reagieren. Wenn ich merke, am Tennisplatz geht's nicht mehr gut, dann spiele ich halt Mensch ärgere Dich nicht. Was anderes Sportliches.
Hat sich Ihre Arbeitsweise in den letzten 35 Jahren eigentlich verändert?
Naja, das ist ja normal. Ich habe mit Milchzähnen angefangen, dann hab ich die anderen gekriegt und jetzt hab ich schon ein paar Implantate drin. So ist es halt. Natürlich hat Älterwerden Folgen.
Viele, mit denen Sie zusammengearbeitet haben, sind nicht mehr da: Der Otto Grünmandl, der Philip Arp, der Jörg Hube, Hans Brenner …
Ja, das ist wirklich traurig. Viele Leute, die ich habe kennenlernen dürfen, die ich geschätzt habe, mit denen ich eine Gaudi gehabt habe, die sind halt nicht mehr da.
Die Biermösl Blosn, Weggefährten seit 32 Jahren, gibt's auch nicht mehr in der Originalbesetzung. War das ein schwerer Schlag?
Ich habe ja schon länger gewusst, dass sie sich auflösen werden. Aber das ist ja nicht entscheidend. Entscheidend ist: Die sind nach wie vor quietschvergnügt alle. Die frühstücken, essen zu Mittag, ich hoffe auch zu Abend manchmal. Und alle machen eine Musik, alle treten auf und alle haben Kinder und die sind alle gesund… also da gibt's nichts zu bedauern, das ist keine Tragik. Jetzt komme ich wieder aufs Älterwerden: man kapiert, zwischen der Schildkröte, die 250 Jahre alt wird und der Eintagsfliege, da schwankt der Mensch dazwischen. Ein Jugoslawe hat mal zu mir gesagt: „Weißt Du Gerhard, sag ich Dir, hab ich erlebt Revolution viermal, Autounfall fünfzigmal, Krankenhaus gewesen weiß nicht wie oft, operiert immer wieder, aber trotzdem im Leben manchmal ist stinklangweilig."
Kennen Sie Langeweile? Oder ist es ein Fehler, zu glauben, Langeweile wäre fad?
Also ich glaube, wenn es einem fad ist, hat man mehr von der Zeit als wenn man hektisch rumsaust. Dann verbraucht man mehr Zeit. So wie man mehr Luft verbraucht, wenn man läuft und schnauft. Vielleicht verbrauchst du wirklich weniger Zeit, wenn du vor dich hin schildkrötelst. Wenn du zeitelst.
Wie würden Sie Zeiteln beschreiben? Zeit totschlagen wohl nicht. Vielleicht eher Zeit verstreichen lassen?
Halt auf keine Uhr schauen. Die Tatsache, dass die Uhr erfunden worden ist, einfach ignorieren. Das ist ja die Frage: mache überhaupt ich was mit der Zeit? Oder macht die Zeit was mit mir? Wahrscheinlich ist es ambivalent. Wir zwei gehören zusammen, die Zeit und ich. Man ist ja in der Zeit drin. Die Russen sagen, wenn einer lebt, er ist im Licht. Das ist eine schöne Vorstellung. Oder die Vorstellung, dass es einen Ozean von Zeit gibt, und da bist Du mittendrin. Du kannst Ruhe, Stille nur beschreiben, wenn Du ein Geräusch hast. Und Zeit kannst Du nur durch Bewegung beschreiben. Wenn du dich bewegst, dann gibt es überhaupt erst eine Zeit. Weil Du lebst. Wenn du nicht mehr lebst, bist du zeitlos. Du bist die Zeit los (lacht). Natürlich ist es auch eine Charaktereigenschaft. Wenn einer die Gabe hat, dass er drei Stunden einem Spatzen zuschauen kann und ihm eine halbe Semmel verfüttert und hat eine Gaudi dabei – dann hat er gewonnen.
Und? Haben Sie diese Gabe?
Die habe ich, glaub ich. Die hab ich von irgendwo gekriegt.
Sie unterscheiden genau zwischen Gemütlichkeit und Griabigkeit.
Sicher. Griabig ist ein dialektales Wort. Das geht tief in die Seele. Vielleicht ist es ja mit dem englischen Wort groovy verwandt, ich weiß es nicht. Gemütlichkeit dagegen ist ein dehnbarer Begriff. Fängt an bei der Einrichtung: „Gell, das ist gemütlich“ und du kriegst eine Gänsehaut dabei. Oder Leute, die Gemütliches von sich geben und du merkst am Unterton: Da ist noch was äußerst Ungemütliches dabei.
Braucht man zur Griabigkeit oder zur echten Gemütlichkeit auch ein Talent?
Weiß ich nicht. Aber ich kenne eine Studie zum Talent, die sagt, dass bei den Begabungen, die die Menschen haben, die Ironiebegabung nicht weit verbreitet ist.
Aber Sie arbeiten auch mit Ironie, und zu Ihnen kommen viele Leute.
Es ist schon vorgekommen, dass Leute angestanden sind, um einen berühmten Humoristen zu sehen, und die haben sich fast geprügelt um die Karten. Da hört dann offensichtlich schon vor dem Eintritt zum Humoristen der Humor auf. Übrigens: Der Spruch Spaß beiseite ist mit das Schlimmste, was ich kenne. Jetzt wird's ernst, also quasi wichtig. Das Gegenteil müsste der Fall sein: Ernst beiseite und jetzt fangt der Spaß an. Weil dann wird man produktiv. Aber Spaß beiseite und dann zu glauben, man kommt auf was Gescheites … das wird dann eher was Trauriges.
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