Edgar Selge über Abtreibung, Mörder und Freiheit

Edgar Selge ist demnächst im Chiemsee-Krimi zu sehen. Im Interview verrät der Charakterdarsteller, ob nur ein krankes Gehirn auf Rache sinnt und was er von Abtreibung hält.
von  (ili/spot)
Edgar Selge als Racheengel Albrecht Ostermeier
Edgar Selge als Racheengel Albrecht Ostermeier © ZDF/Marco Nagel

Berlin - Ohne ihn hätte er den Film nicht gemacht, sagt Regisseur und Grimme-Preisträger Hans Steinbichler (44, "Hierankl"). Diesen Vertrauensvorschuss hat Charakterdarsteller Edgar Selge (65, "Poll") belohnt, denn auch im Chiemsee-Krimi "Hattinger und die kalte Hand" (25. November, ZDF, 20.15 Uhr) liefert der Wahl-Münchner die beeindruckende Darstellung eines unheimlichen und zugleich Mitleid erregenden Mannes, der einen präzise geplanten Rachefeldzug in die Tat umsetzt.

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Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklärt der zweifache Grimme-Preisträger (jeweils als "Polizeiruf 110"-Kommissar), ob die Taten, die Albrecht Ostermeier (Selge) nach und nach durchzieht, nur einem kranken Gehirn entspringen können, was der Schauspieler von Abtreibung hält und wann er sich so richtig frei fühlt.

Herr Selge, was ist das Besondere an Ihrer Rolle Albrecht Ostermeier?

Edgar Selge: Die Ausführung dessen, was er sich vorgenommen hat, verläuft ganz anders, als er es sich vorgestellt hat. Einen Mord zu planen und einen Mord zu begehen, sind eben zwei Paar Schuhe. Denn niemand kann sich wirklich vorstellen, wie es ist, einen Menschen umzubringen, auch wenn er von noch so viel Wut getrieben ist.

Amoklauf, erweiterter Suizid, Rachefeldzug... Passiert so etwas nur einem kranken Gehirn?

Selge: Nein. Ich würde auch nicht zwischen gesunden und kranken Gehirnen unterscheiden. Ich würde sagen, es gibt eine Grenze von Dingen, die man erträgt. Und danach passieren Dinge, über die man dann sagt, dass dahinter nur ein "krankes Gehirn" stecken kann. Es kommt aber nur darauf an, wie viel Glück Sie haben und ob Ihre Erlebnisse immer unterhalb dieser Erträglichkeitsgrenze bleiben. Liegen sie darüber, kann jeder ausrasten.

Warum startet Ostermeier seinen Rachefeldzug erst, als seine Frau gestorben ist?

Selge: Er wollte sie schützen. Dieses Unrecht, das ihm widerfahren ist und das er über die Gerichte nicht einklagen konnte, will er nicht auf sich sitzen lassen.

Ein wichtiges Thema im Krimi ist die Abtreibung. Das kommt in Filmen nicht mehr oft vor. Warum nicht?

Selge: Als die Abtreibung noch ein Verbot war, ist das Thema in unserer Gesellschaft sehr stark behandelt worden. Inzwischen ist der Druck, vor allem von der Katholischen Kirche, nicht mehr so groß, daher kommt das Thema nicht mehr so stark vor. Vielleicht ist es an der Zeit, einen Film zu machen, der die Abtreibung in ihrer ganzen menschlichen Komplexität beschreibt. Ich persönlich würde sagen, dass es einen schon beuteln kann, wenn man so tief eingegriffen und entschieden hat, wer leben darf und wer nicht. So etwas möchte man eigentlich nicht selbst entscheiden.

Die Kollegin von Kommissar Hattinger entschuldigt ihr Handeln mit einem zu großen Harmoniebedürfnis. Kann zu viel Harmonie tatsächlich schaden?

Selge: Ein zu großes Harmoniebedürfnis bedeutet den Ausschluss der Wirklichkeit. Wenn Menschen zusammenkommen, gibt es immer Interessenskonflikte. Die Konflikte offen zu benennen und sich daran zu reiben, ist etwas Gutes. Ich finde schon, dass sich eine reife, erwachsene Gesellschaft, die sich auch weiterentwickeln will, lernen muss, die Harmoniesehnsucht nicht zu groß werden zu lassen.

Schönheits-Operationen, Wellness, Burnout. Was halten Sie davon?

Selge: Das ist eine gesellschaftliche Realität. Ich selber habe damit nichts am Hut.

Belächeln Sie das?

Selge: Nein, gar nicht. Ich bin ja durchaus in einem Alter, wo ich merke, was Älterwerden auch physisch bedeutet. Für mich gibt es aber keinen anderen Weg, als mich auch über das eigene Altern mit der Vergänglichkeit auseinanderzusetzen. Man muss abgeben lernen, bis man auch das eigene Leben abgibt. Ich kann Menschen aber verstehen, die sagen: Wir leben in einer faltenfreien Gesellschaft und weil die eigene Jugendlichkeit auch ein Prädikat ist, das unseren Marktwert ausmacht, gehe ich zum Schönheitschirurgen.

Im Film sagen Sie "Ich gehöre zu den Alten, die jetzt fitter sind als früher". Kennen Sie solche Personen?

Selge: Ja, das gibt es sogar sehr oft, weil viele Menschen während ihres Berufslebens gar nicht so viel Zeit gehabt haben, für ihre Kondition zu sorgen und dann als Rentner richtig damit anfangen. Heute weiß man ja auch, dass es dafür nie zu spät ist.

Welche Sportart ist Ihnen am liebsten?

Selge: Für den Film, den ich gerade drehe, habe ich Schwimmunterricht genommen, weil ich darin durch einen See schwimmen muss. Mein Personal Trainer hat mir dann erzählt, dass er auch sonst meistens mit Leuten in meinem Alter zu tun hat, die ihre Zeit damit verbringen, sich körperlich aufzubauen. Natürlich sind diese Menschen dann fitter, als sie es mit 40 waren... Mein Ding ist aber eher das Laufen.

Wann fühlen Sie sich so richtig frei?

Selge: Am freiesten fühle ich mich, wenn es heißt "Kamera ab!" oder wenn ich als Schauspieler auf die Bühne komme.

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