Die Geheimnisse von Vitali und Wladimir
Der Weg nach oben verlief für die Klitschkos nicht immer so gerade, wie viele glauben. Ein neues Buch von Autor Leo G. deckt jetzt die Flecken in der Biografie der Boxbrüder auf.
Berlin - Ehemalige Kontakte zur Unterwelt, Details zum Doping-Fall vor Olympia 1996: Mit "Die Klitschkos - Biografie" (Verlag Neues Leben, 304 Seiten, 19,99 Euro) erscheint am morgigen Freitag ein lesenswertes Buch über die Boxbrüder, das einige kaum bekannte Details aus der Vergangenheit der beiden präsentiert: "Meine Absicht war, eine realistische, faktenreiche, kritische Biografie der Boxbrüder zu schreiben", erklärt der Autor des Buches, Leo G. Linder, der Nachrichtenagentur spot on news.
Die Klitschkos - Biografie" von Leo G. Linder gibt es hier
"Bisher gab es an Klitschko-Biografien lediglich die Autobiografie der Klitschkos ("Unter Brüdern") von 2004", sagt Linder. Seitdem sei viel geschehen. "Als Boxer haben die Klitschkos einen einzigartigen Siegeszug hingelegt, und Vitali Klitschko ist in die Politik eingestiegen - mittlerweile verfolgt er das Ziel, Präsident der Ukraine zu werden. Das ist für sich genommen sensationell genug." Noch sensationeller findet Linder, wie erfolgreich die Klitschkos ihr Image als Edelboxer für die ganze Familie pflegen. "Boxen ist eigentlich ein ziemlich dreckiger Job, und Politik in der Ukraine ist noch dreckiger als anderswo. Mich hat es gereizt, mal hinter die Kulissen zu schauen. Da kommt einiges Überraschendes zu Tage. Was die Faszination, die von den Klitschkos ausgeht, im Übrigen nicht schmälert."
Was hat Sie am meisten überrascht bei Ihren Recherchen zur Familie Klitschko?
Leo G. Linder: Die Geschichte ihrer Großeltern väterlicherseits ist geradezu aufwühlend. Ihre Großmutter Tamara Etinson war Jüdin. Beim Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Ukraine 1941 wird sie in ein Lager verschleppt, zusammen mit ihrem Sohn. Ihrem Mann Rodion gelingt es, sie freizukaufen, aber für ihren Sohn reicht das Geld nicht. Er wird kurz darauf erschossen. Und Tamara - wie gesagt die Großmutter der Klitschkos - muss sich bis zum Rückzug der deutschen Truppen 1944 in einer Truhe verstecken. Sie überlebt, ist aber nach drei Jahren in diesem engen Versteck seelisch schwer verletzt. Eine furchtbare Geschichte. Man hätte es verstehen können, wenn Vitali und Wladimir Ressentiments gegen Deutschland gehabt hätten. Haben sie aber nicht.
In "Die Klitschkos" gehen Sie auch auf die politische Lage in der Ukraine ein. Jetzt protestiert dort das Volk gegen die Regierung und für mehr West-Öffnung. Vitali Klitschko kämpft für die Opposition an vorderster Front. In Ihrem Buch bemängeln Sie, dass der Politiker Klitschko nur wenig Inhaltliches zu bieten hat. Hat sich das in den letzten Wochen geändert?
Linder: Nein. Wann immer Vitali vor die Kameras tritt, wiederholt er dieselben Floskeln von einem Recht der Ukrainer auf Freiheit und ein besseres Leben. Alles gut und schön, aber: Man sollte in dieser Situation erwarten, dass er als prominentester Oppositionsführer ein starkes, überzeugendes Motto ausgibt, eine zündende Parole, irgendetwas, das die frierenden Massen begeistert. Aber Vitali Klitschko begeistert nicht. Er reißt nicht mit. Was man ihm aber bescheinigen muss, ist Mut. Tapferkeit. Er ist sich nicht zu fein dafür, sich an vorderster Front den Angriffen der Polizei auszusetzen.
Wäre Vitali Klitschko Ihrer Meinung nach dazu fähig, die Ukraine als Staatspräsident zu führen?
Linder: Ich befürchte, dass in einem so tief gespaltenen Land wie der Ukraine jeder Präsident vor beinahe unlösbaren Aufgaben steht. Immerhin wäre Vitali Klitschko als Präsident eine Identifikationsfigur, anders als Janukowitsch, anders auch als Timoschenko. Und vielleicht wäre das in den nächsten, entscheidenden Jahren das wichtigste: ein Präsident, der es schafft, den westlichen und den östlichen Landesteil der Ukraine miteinander zu versöhnen. Klitschko ist, so weit ich sehe, der einzige, dem dieses Wunder gelingen könnte.
Die EU wünscht sich Klitschko angeblich als starken Mann in der Ukraine - obwohl er in der Opposition im Moment mit den Nationalisten verbündet ist. Macht der Westen einen Fehler?
Linder: Der Westen macht keinen Fehler. Aus dem einfachen Grund, weil in dieser unglaublich verworrenen Situation Vitali Klitschko der einzige ist, der über den Parteien steht. Dem kein Stallgeruch des einen oder anderen Lagers anhaftet. Der vermitteln könnte. Hätte Vitali Erfolg, würde auf Dauer den Nationalisten der Wind aus den Segeln genommen.
Für die Deutschen gelten die Klitschkos als Saubermänner. In Ihrem Buch schreiben Sie aber unter anderem, dass das Geld, das den beiden den Einstieg in den Profi-Sport geebnet hat, auch von zwei Personen aus der Kiewer Unterwelt gekommen sein soll. Und auch über den Dopingfall von Vitali, der ihn die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1996 gekostet hat. Wieso haben solche Kratzer in den Biografien dem Image der beiden nie geschadet?
Linder: Ich will die Verbindung zwischen den Klitschkos und der Mafia in den 90er Jahren nicht moralisch bewerten. Damals, nach der Unabhängigkeit, gab es in der Ukraine praktisch keinen Staat mehr, auch keine Sportförderung, und wenn es nur noch Wölfe gibt, muss man eben mit den Wölfen heulen - oder alle Träume aufgeben. Und der Dopingfall ist zwar dubios, aber nichts Ungewöhnliches. Bisher hat sich keiner an diesen Flecken in der Biografie gestört, weil sie im Westen kaum bekannt waren. Und wie sich die Klitschkos dem deutschen Publikum verkaufen, das ist schon genial.
Vitali ist seit 1996 glücklich verheiratet und dreifacher Vater. Wladimir plant seine Hochzeit mit der bekannten US-Schauspielerin Hayden Panettiere. Passt diese Promi-Beziehung zu seiner Selbst-Inszenierung?
Linder: Ja, hundertprozentig. So sieht ja auch die "Arbeitsteilung" zwischen den Klitschko-Brüdern aus: Vitali, der raue, ehrliche Geselle, und Wladimir, der charmante Glamour-Boy.
Während Vitali seine Zukunft in der Politik sieht, wird Wladimir wohl noch weiter boxen. Wo sehen Sie die beiden in zehn Jahren?
Linder: Wenn Sie mich fragen würden, wo ich sie in 100 Jahren sehe, würde mir die Antwort leichter fallen. Aber im Ernst: Wladimir wird sich nach dem Rücktritt seines Bruders vom Boxen auch noch den vierten Weltmeistergürtel holen - und dann, gewissermaßen hochdekoriert, zurücktreten. Und Vitali könnte, wie sich die Dinge zurzeit entwickeln, tatsächlich seine Chance bekommen und 2015 Präsident werden. Ob man es ihm gönnen soll? In jedem Fall haben sie ausgesorgt. Die Klitschkos sind ja erfolgreiche Geschäftsleute. Sie haben ihre eigene Promotionsfirma, sie haben Immobilien und Beteiligungen und werden zwischen Golfspielen, Drachenfliegen und Fernsehauftritten auch immer wieder mal im Büro sitzen.