Bestsellerautorin Nicola Förg: "Regional heißt doch nicht per se albern"

Nicola Förg schickt ihre Ermittlerinnen Irmi und Kathi wieder los: In "Scheunenfest" müssen sie den Tod zweier junger Frauen aufklären. Über schrecklich normale Familien und das Klischee vom dümmlichen Südkrimi spricht Förg im Interview.
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Das neue Buch von Nicola Förg heißt "Scheunenfest"
Alessandro Emrich Das neue Buch von Nicola Förg heißt "Scheunenfest"

Unterammergau – Ein neuer Fall für Irmi Mangold und Kathi Reindl: In Nicola Förgs neuem Krimi "Scheunenfest" (Pendo, 352 Seiten, 16,99 Euro) müssen die beiden Ermittlerinnen den Tod zweier junger Frauen aufklären. Die Leichen werden in der Brandruine einer Scheune in Unterammergau entdeckt. Die Rumänin Ionella ist eines der Opfer, sie hatte das alte Ehepaar gepflegt, dem der Bauernhof gehört. Am Ende führen die Ermittlungen Irmi aber viel weiter weg... Im Interview mit spot on news spricht Förg über ihr neues Buch und das Klischee der dümmlichen Südkrimis.

"Scheunenfest", den neuen Krimi von Nicola Förg, gibt es hier

Die Ermittlungen von Irmi und Kathi konzentrieren sich auf die "schrecklich normale" Familie Schmid. Ist das ein besonderer Reiz, ganz normalen Menschen solche Taten "in die Schuhe zu schieben"?

Nicola Förg: Ich würde Reiz gegen Realität austauschen! Das ist die Realität am Land. Was nun tun mit den Alten? Da ist die Rede von den Karpatenweibern, die man mit Verachtung sieht. Wiewohl das ein weites Tal ist, sind da so viele Scheuklappen vor den Augen. Es geht eben immer auch darum, aus den richtigen Familien zu stammen, Zugereiste haben immer nur ein Ticket zweiter Klasse! Wo beginnt Ausgrenzung? Teils doch schon im Nachbardorf oder im Neubaugebiet. Und es ist beklemmend zu sehen, wie viele Grauzonen diese Familie zulässt, wenn es um Lug und Trug geht. Nur Mord schließt man kategorisch aus.

Ohne die alle paar Monate wechselnden Pflegerinnen aus dem Ausland könnte das alte Ehepaar Schmid daheim nicht betreut werden, trotzdem begegnet man den Helferinnen aus dem Ausland nicht gerade freundlich. Wie sind Sie darauf gekommen, rund um diese Problematik einen Krimi zu stricken?

Förg: Weil Deutschland, ja ganz Mitteleuropa, ohne die Frauen aus Polen, Rumänien etc. vor einer Katastrophe stünde! Es gibt nicht genug Pflegeplätze, deutsche Kräfte sind nicht zu bekommen. Renten sind oft mehr Almosen und reichen nie für die Pflege. Auch ich stand vor der Frage, wie ich meinen Eltern ein würdiges Altern ermöglichen kann. In meiner Familie sind wir den Weg der ausländischen Pflegekräfte gegangen und das war für alle Beteiligten ein Tanz auf sehr dünnem Eis. Die Angehörigen haben ein bohrend schlechtes Gewissen, die lieben Alten sind natürlich nicht immer lieb. Die Mädchen aus dem Ausland sind weder Engel noch Teufel. Die meisten haben Sprachprobleme, sie haben Heimweh. Sie erfüllen einen übermenschlichen 24-Stunden-Job und emotional ist das alles hochsensibel. Mein Leben und Denken hat diese Periode nachhaltig verändert! Und ja, ich musste einige Jahre durchatmen, um nun erzählen zu können, das Sterben und der Tod meiner schwer dementen Mutter war mit das Bitterste, was ich erlebt habe.

Ein anderes Thema, das das Buch aufgreift, ist die Besatzung Norwegens durch deutsche Soldaten während des Zweiten Weltkriegs. Wie wichtig ist es Ihnen, die Leser nicht nur gut zu unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anzuregen?

Förg: Unterhaltung und Nachdenklichkeit schließen sich ja nicht aus. Mir ist das zu schwarz-weiß. Unterhaltsame Feierabendlektüre versus dem großen klugen Weltwissens-Buch? Man kann mit einer Geschichte unterhalten und dennoch hoffen, glauben, wünschen, dass man Leser mit Passagen und Sätzen nachdenklich stimmt, und dass etwas nachhallt. Ich mag Bücher, die wie das Leben sind: mal launig dahinplätschern wie ein Sommerabend, mal gewalttätig sind wie eine Gewitterfront.

Irmi Mangold erholt sich zu Beginn des Buches von einer posttraumatischen Belastungsstörung. Was hat Sie darauf gebracht, Ihrer Kommissarin dieses psychische Leiden mit auf den Weg zu geben?

Förg: Also sicher nicht, weil man heutzutage ohne Burn-out ja fast kein Mensch mehr ist! Irmi ist auch keine gebrochene Persönlichkeit, sie ist eine optimistische, zupackende, bodenständige Persönlichkeit. Aber ich wollte zeigen, dass auch und gerade solche Menschen, die immer selbst bestimmt sind, die alles selber können und nie Hilfe annehmen, an einen Point of no Return kommen. Irmi hat das akzeptiert, erliegt dem Zauber Nordnorwegens im Winter und spürt sich wieder. Sie spürt sich auch wieder als die Kommissarin, die die Intuition hat. Und die braucht sie in dem Fall auch!

Mit ihrer verheirateten Affäre Jens hat Irmi zwischenzeitlich auch Ärger. Was ist das für eine Beziehung, die die beiden führen?

Förg: Weder mit dir noch ohne dich... Sie brauchen sich, sie beflügeln sich. Er ist nicht frei, zudem ist Jens klug, und hat überall auf der Welt Freunde, springt elegant zwischen Sprachen hin und her, alles sehr beeindruckend, aber er legt sich nie fest! Und würde er wirklich mit seinen Koffern vor der Türe stehen, Irmi würde sehr erschrecken. Das ist zu viel Nähe und genau das ist bei ihren Treffen immer das Problem: Irmi muss sich warm reden, warm werden, nach langen Abwesenheiten geht Liebe nun mal nicht von Null auf Hundert!

Irmis Kollegin Kathi teilt verbal gern aus und steckt auch einiges ein. Macht das Schreiben dieser Dialoge besonders Spaß?

Förg: Ich mag beide Figuren, weil sie total unterschiedliche Lebensentwürfe darstellen, zwei Generationen und zwei Pole. Irmi ist nun Mitte Fünfzig, über die Lebensmitte hinaus, sie weiß, dass man nicht unverwundbar ist und das Leben endlich ist. Das macht sie behutsamer, sie ist eine bodenständige Frau, die sehr gut zuhören und sehr genau hinsehen kann. Kathi hingegen ist Dreißig, sie ist eine Urgewalt, bildhübsch, oft zu schnell in Wort und Tat und doch gutmütig, klar und ehrlich. Sicher, solche Dialoge schreibt man gerne.

Sie kritisieren, dass die Leute von Krimis aus dem Süden "Schenkel klopfende Heiterkeit" erwarten. Woher kommt dieses Klischee?

Förg: Ich glaube daher, dass in den letzten Jahren sowohl im Printbereich als auch in den TV-Serien Südkrimis immer leicht dümmliche Ermittler hatten und die Macher teils ganz tief, schamlos und schmerzfrei in die Klischeekiste gegriffen haben. Es hat sich so eingebürgert: Süd ist gleich Slapstick. Ich mag eher Dialoge zum Schmunzeln und Menschen mit einem Augenzwinkern zu charakterisieren... Am Ende geht es im Krimi aber primär um menschliche Abgründe und um Mord, was ich wenig heiter finde. "Regional" ist falsch besetzt: Die Landschaft, das Wetter, die Historie, die Mentalität prägen die Menschen und sind wichtige Zutaten zur Authentizität einer Geschichte, aber "regional" heißt doch nicht per se "albern".

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