Abschied von den Kessler-Zwillingen: Selbstbestimmtheit bis in den Tod

Für Alice und Ellen Kessler ist der finale Vorhang gefallen, die beiden Entertainerinnen sind im Alter von 89 Jahren gestorben. Der AZ-Chefredakteur blickt auf das Leben eines der berühmtesten Zwillingspaare Deutschlands zurück.
Michael Schilling
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Die Kessler-Zwillinge sind gemeinsam in Grünwald gestorben.
Die Kessler-Zwillinge sind gemeinsam in Grünwald gestorben. © imago/Lindenthaler

Es ist noch nicht lang her, da haben wir in geselliger Runde mit Alice und Ellen Kessler den Geburtstag einer lieben Kollegin gefeiert. Die Kesslers waren ja fast so etwas wie ein Teil der Abendzeitungs-Familie. Schön, mal wieder rauszukommen aus Grünwald, sagten sie, nachdem sie mit dem Taxi gekommen waren. Sie nippten gediegen am Champagner, geblieben sind sie nicht lang. 90 Minuten etwa, so lang wie eine ihrer Revuen oder Spielfilme früher.

Ellen und Alice Kessler: Selbstbestimmtheit bis in den Tod

Da ging es ihnen schon nicht mehr so gut. Vor sieben Jahren, bei der Gala zum 70. Geburtstag der Abendzeitung, waren sie noch aufgetreten, Alice hatte auf der Bühne des ausverkauften Deutschen Theaters sogar noch einen Spagat hingelegt. Mit damals 81!

Die Jahre danach hatten erkennbar an ihnen gezehrt. Ellen hatte Operationen zu überstehen, beide litten an Schmerzen – trotz jahrzehntelanger Disziplin und Gymnastik bis ins hohe Alter. Sie mögen Diven gewesen sein und gewiss nicht uneitel. Aber das Thema Alter(n) war überhaupt kein Tabu für sie. Selbstbestimmtheit bis in den Tod – das war ihr Credo.

Sie sprachen offen über ihr Bedauern und ihre Verständnislosigkeit, wenn andere (prominente) Menschen im Greisenalter in die Hilflosigkeit gerieten und zu Pflegefällen wurden. Eine am Ende sinnlose OP nach der anderen, isoliert am Tropf liegen oder in einem Pflegeheim – das war für die Kesslers keine Option. Sondern einfach nur eine grauenhafte Vorstellung, die es um jeden Preis zu vermeiden galt.

Die Kessler-Zwillinge haben schon immer zusammen gelebt

Dann lieber rechtzeitig aus eigenen Stücken aus dem Leben scheiden; auch darüber haben sie mit Freunden und Bekannten offen gesprochen. Sterben? Natürlich gemeinsam. Wie sie alles gemeinsam taten. Alice ohne Ellen, Ellen ohne Alice: Das war ja nicht vorstellbar. Für sie selbst schon gar nicht. Sie haben immer zusammen gelebt, seit 1986 in einem Doppel-Bungalow in Grünwald, links die eine, rechts die andere, mit Verbindungstür.

Männer, also Liebschaften, kamen ihnen schon lang nicht mehr ins Haus. Wozu sich mögliche Probleme machen? Sie haben es sich schwesterlich so schön eingerichtet: "Wir haben uns, sind nie allein – außer, wenn wir es wollen. Wir haben das perfekte Miteinander, ohne Eifersucht oder Streitigkeiten, wie es sie oft unter Paaren gibt", haben sie der AZ im vergangenen Jahr erzählt, als sie ihren 88. Geburtstag gefeiert haben.

Schon da machten sie aus gesundheitlichen Problemen keinen Hehl. Ellen sagte: "Ich habe ja einen Herzschrittmacher bekommen und danach Einwässerungen. Die Tabletten machen mich fast depressiv, die ziehen mich wirklich runter. Solche Gemütsschwankungen kannte ich bisher nicht." Das war im August 2024.

Seither war genug Zeit für ihre ganz persönliche Abschiedstournee – die vom Leben. Und die haben sie minutiös geplant.

Kurz vor ihrem Tod: Alice Kessler kündigt Abo bei der Abendzeitung

Am Montag (17. November) brachte der Briefträger in der Früh ein Schreiben in die Abendzeitung. Darin kündigte Alice – nach Jahrzehnten - das gemeinsame AZ-Abo der beiden. Zum 30. November, hatte sie ursprünglich mit dem Computer geschrieben. Und das Datum dann handschriftlich mit Kugelschreiber ausgebessert – "zum 17.11.2025".

Darunter ihr Autogramm, das vielleicht das letzte ihres Lebens war. Mit einem kühnen, langen Unterstrich, der so schwungvoll war wie das Leben der Show-Zwillinge. Ein Schlussstrich.

Wenige Stunden später erreichte uns die Nachricht vom Tod von Alice und Ellen Kessler. Sie hat in der Abendzeitung große Traurigkeit ausgelöst.

Anmerkung der Redaktion: In der Regel berichtet die AZ nicht über Selbsttötungen – es sei denn, die Tat erfährt durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Suizidgedanken sind häufig eine Folge psychischer Erkrankungen. Letztere können mit professioneller Hilfe gelindert und geheilt werden. Wer Hilfe sucht, auch als Angehöriger, findet sie bei der Telefonseelsorge: 0800–111 0 111 und 0800–111 0 222. Die Berater sind rund um die Uhr erreichbar, jeder Anruf ist kostenlos.

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