Zwangs-Heimkehr aus dem Urlaub?

FDP-Politiker fordern, dass Bahn-Angestellte ihren Urlaub abbrechen, damit der Zugverkehr um Mainz wieder normal rollen kann. Gewerkschafter sind empört und prangern den Sparkurs an
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MAINZ Im Streit, wie der Bahnbetrieb rund um Mainz wiederhergestellt werden könnte, verschärft FDP-Generalsekretär Patrick Döring, Bahn-Aufsichtsratsmitglied, jetzt die Gangart: Er sprach sich dafür aus, Mitarbeiter zwangsweise aus dem Urlaub zurückzurufen und zur Arbeit zu verpflichten „auf Kosten der Bahn“. Weil fast die Hälfte der Fahrdienstleiter in Urlaub oder krank ist, herrscht Chaos am Mainzer Hauptbahnhof.

Die entrüstete Reaktion der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG kam prompt: „Unsere Kolleginnen und Kollegen brauchen ihren Erholungsurlaub dringend“, protestiert EVG-Chef Alexander Kirchner. „Ihnen jetzt den schwarzen Peter zuzuschieben, ist schäbig.“

Von den 15 Fahrdienstleitern im Stellwerk Mainz sind vier krank und drei im Urlaub. Die verbleibenden acht reichen nicht aus, um die üblichen Schichten zu besetzen.
Im Aufsichtsrat der Bahn machen Spekulationen die Runde, es handele sich um einen „verdeckten Streik“: Melden sich deshalb so viele Beschäftigte krank und haben deren Chefs bisher niemanden aus dem Urlaub zurückgeholt, um in der Ferienzeit mal ein Signal nach Berlin zu senden, dass es mehr Stellen braucht? Der damalige Bahnchef Hartmut Mehdorn hielt bei seinen Sparplänen die Stellwerke besonders geeignet für Personalabbau. Er wollte auf mehr Technik setzen. Doch die Einführung lahmt, auch die braucht Bediener – laut Gewerkschaft fehlen 1000 Fahrdienstleiter deutschlandweit.

Bereits seit gut einer Woche fallen Züge in Mainz aus, der Regionalverkehr läuft abends und nachts nur eingeschränkt. Vom Fernverkehr ist der Hauptbahnhof in dieser Zeit abgeschnitten. Der Ansturm Tausender Stuttgarter Fußballfans wurde am Sonntag mit einem für einige Stunden eingesprungenen Fahrdienstleiter allerdings gut bewältigt. Ab heute sollen auch wochentags viele Züge im Regionalverkehr ausfallen. Zahlreiche Fernverkehrszüge würden umgeleitet.

In Reaktion auf die Zustände hat Bahnchef Rüdiger Grube das Vorstandsmitglied der für die Stellwerke zuständigen Sparte DB Netz, Hansjörg Hess, von dessen Aufgaben entbunden – der Schritt sei ohnehin geplant gewesen. Ein Bauernopfer? Der Personalmangel ist lange bekannt. EVG-Sprecher Frank Hauenstein: „Die Bahn ist mit der Einrichtung von elektronischen Stellwerken hinterher. Jahrelang wurden zu wenig Junge ausgebildet.“ Der Landeschef von Pro Bahn Rheinland-Pfalz, Sebastian Knopf, sieht’s ähnlich: „Es wurde zu viel gespart und zu wenig ausgebildet.“ Beide glauben nicht an die „Verdeckter-Streik-Theorie“. Hauenstein: „Sowas machen wir nicht, da würden wir eher als Signal einen Vormittag warnstreiken und die Öffentlichkeit informieren.“

Aber was tun? Hauenstein dämpft Hoffnungen auf schnelle Besserung: „Kurzfristig jemanden von einer Nebenstrecke einzuarbeiten, ist nicht möglich. Und eine Verpflichtung zwangsweise aus dem Urlaub geht arbeitsrechtlich gar nicht. Es sollte prinzipiell kein Druck gemacht werden – die Mitarbeiter brauchen stattdessen Anerkennung, sie sind schon lange überbeansprucht. Wenn jemand freiwillig aus dem Urlaub zurückkommt, ist eine Belohnung okay, aber jetzt mit viel Geld zu locken ist nicht richtig, Erholungsurlaub ist nötig. Der Krankenstand ist so hoch, weil sich einige kaputtgearbeitet haben.“ Die Bahn setzt jetzt darauf, dass einige der drei Fahrdienstleiter aus freien Stücken ihren Urlaub abbrechen – aber wenn nicht?

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