Wird die CSU zum bundespolitischen Zwerg?

Erst die Maut, jetzt das Betreuungsgeld: Ein Politologe über die Misserfolge der CSU
Ralf Müller |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Heinrich Oberreuter
Heinrich Oberreuter

AZ: Herr Professor Oberreuter, der Politikberater Michael Spreng hat schon 2007 geschrieben, nach dem Rücktritt Stoibers beginne „die Verzwergung der CSU“. Hat er Recht behalten?

HEINRICH OBERREUTER: Die CSU hat alle Hände voll zu tun, dass dieses harte Urteil nicht zu einer stimmigen Prognose wird. Nach Stoiber erlebt man eine CSU-Führung, die anders als in den Jahrzehnten zuvor keine weit reichenden oder umgestaltenden Konzeptionen hat, sondern die im Wesentlichen die positive Position Bayerns bewahren will und das bayerische Lebensgefühl in den Vordergrund stellt. Tief greifende zukunftsorientierte Perspektiven werden nicht entwickelt, es sei denn, man ist mit Bekenntnissen zur Digitalisierung, mit familienpolitischen oder Akzenten in der Flüchtlingspolitik zufrieden. Aber das sind eigentlich Detailfragen.

Mit dem Aus für das bundesweite Betreuungsgeld sehen viele die bundespolitische Bedeutung der CSU im freien Fall.

In beiden Fällen hat sie auf die Rechtsgrundlagen nur einen verkürzten Blick geworfen. Man hat sich mit Blick auf Wählerschichten emotional fortreißen lassen. Das ist nie nützlich. Immer wenn die CSU das Besondere an ihrer Existenz herausstreicht, neigen alle anderen zur Häme, wenn sie dabei eine Niederlage erleidet. Das hat sie jetzt an zwei Fronten und das ist publizistisch verheerend.

Nur publizistisch?

Seehofer versteht sich andererseits mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Gabriel eigentlich ziemlich gut. Er möchte das Prestige von Merkel auf die CSU-Mühlen leiten. Das hängt damit zusammen, dass die Anrufung des bayerischen Lebensgefühls allein nicht mehr ausreicht. Das Vertrauen zu Merkel nützt der CSU auf dem bayerischen Wählermarkt zusätzlich. Das nimmt Seehofer aber auch Freiheiten. Eine Rolle wie sie Wolfgang Schäuble in den letzten Monaten gespielt hat, würde Seehofer nicht anstreben – ganz im Gegensatz zu früher, wo er als Berliner Kabinettsmitglied durchaus konfliktbereit gewesen ist.

Was bedeuten denn die Misserfolge mit den bundespolitischen CSU-Projekten für Seehofer? Wird dadurch der Wechsel beschleunigt?

Seehofer ist ja mit der permanenten Inthronisierung etwaiger Kronprinzen selbst schuld, dass diese Debatte am Leben bleibt. Die Karlsruher Entscheidung vom Dienstag ist keine Entscheidung in der Sache, sondern nur formal: Der Bund ist nicht zuständig. Wenn Seehofer jetzt fordert, der Bund soll ein Länder-Betreuungsgeld finanzieren, ist das auf den ersten Blick eine merkwürdige Position. Er ist unterwegs, um den formalen Schaden zu heilen. Ob ihm das gelingt, ist zweifelhaft. Die Maut-Frage ist auch offen. Das Problem bei beiden ist, dass man diese Themen so in den Vordergrund gerückt hat, dass der Eindruck entstand, man habe sonst keine.

Ist die bundespolitische Bedeutung der CSU mit dem gestrigen Dienstag gesunken?

Nicht erst gestern. Die CSU ist Mitglied einer Koalition, in der es auf ihre Stimmen nicht ankommt. Sie ist daher immer auf Solidaritäten angewiesen. Sowohl in der Maut- wie in der Betreuungsfrage hat sie die Solidarität der Koalitionspartner beansprucht. In beiden Feldern hat sie Schiffbruch erlitten. Die Bereitschaft, auf CSU-Spezialitäten einzugehen, wird dadurch nicht wachsen. Nach außen ist die Position der CSU in Berlin seit einiger Zeit kleiner geworden. Man sieht es auch an den Ministerien, die sie hat.

Zur Person:

Der 72-jährige Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter gilt als ausgewiesener CSU-Kenner.

 

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.