„Wir brauchen einen neuen EU-Vertrag“

Der Politologe Mark Hallerberg unterrichtet Politische Ökonomie und Öffentliche Verwaltung an der Hertie School of Governance. Wenn schon Gelder für arme Staaten, müssen die Regeln klarer sein, fordert der Experte.
AZ: 110 Milliarden Euro für Athen, die EZB akzeptiert von Athen jetzt auch Anleihen mit Ramsch-Status – wandelt sich die EU von der Währungs- zur Transferunion, in der die reichen Länder Daseinsvorsorge für arme Staaten betreiben?
MARK HALLERBERG: Vielleicht ist es etwas zu früh, so etwas zu sagen. Aber natürlich besteht diese Gefahr. Die Frage ist, was in drei Jahren passiert – braucht Griechenland dann noch mehr Geld? Und werden Portugal und Spanien sagen: „Was Griechenland bekommen hat, bekommen wir auch“?
Müssen die politischen Institutionen der EU nicht gestärkt werden, wenn die Union schon so sehr zur Kasse gebeten wird?
Das wäre eine Lösung. Man kann eine Währungsunion dezentral gestalten wie die Vereinigten Staaten – dort greift Washington nicht ein, wenn Kalifornien oder Georgia pleite gehen. Oder man macht es wie in Europa, gewährt Hilfen, knüpft die Gelder aber an strengere Bedingungen
Müsste dann der EU-Vertrag von Lissabon neu geschrieben werden?
Ja, denn die jetzigen Regeln sind nicht klar. Da ist viel Angst im Spiel. Im Vertrag steht eine No Bail Out Klausel, das heißt, die Schulden eines Landes werden nicht von der Gemeinschaft übernommen. Aber genau das ist jetzt gerade passiert. Für die Zukunft muss das transparent geregelt werden, so, dass es auch die Bevölkerung versteht.
Verschiedentlich wird gefordert, den Stabilitätspakt auszuweiten und auch die Leistungsbilanz der Staaten sowie deren Lohnstückkosten zu kontrollieren. Würde das Sinn machen?
Die Frage ist, ob man diese Größen wirklich kontrollieren kann. Die Frage ist auch, was man eigentlich will – wirklich eine politische Union? Wenn ich in Betracht ziehe, wie sich Italien und Frankreich über die Deutsche Wirtschaft geäußert haben – nämlich, dass die Deutschen ihre Lohnstückkosten erhöhen sollen – fände ich das nicht gut.
Was soll dann passieren?
Das heißt, es wird ein teilweiser Schuldenausfall beschlossen, auch gegen den Willen der jeweiligen Regierung?
Das muss möglich sein, und die Details dazu müssen geklärt werden.
Interview: sun