Wahlergebnis in Frankreich: Erfolg für die Linke, Len Pen und die Rechte abgestraft
Das Jubelgeschrei brach an diesem Sonntagabend in Paris nicht bei jener Wahlparty aus, wo es alle im Vorfeld erwartet hatten, nämlich bei der Feier des rechtsextremen Rassemblement National. Sondern im Nordosten der Hauptstadt, wo das Linksbündnis Neue Volksfront seine Anhänger versammelt hatte, lagen sich Menschen in den Armen lagen und stimmten spontan die Marseillaise an, so als sei Frankreich jetzt gerettet. "Die Stimmung ist unbeschreiblich", rief ein Reporter in eine Fernsehkamera.
Le Pen auf dritten Platz abgerutscht
Überraschend lag das Bündnis aus der Linkspartei LFI (La France Insoumise, "Das unbeugsame Frankreich"), Sozialisten, Grünen und Kommunisten an erster Stelle, gefolgt vom Lager des Präsidenten Emmanuel Macron und erst auf dem dritten Platz dem rechtsextremen Rassemblement National (RN). Bei dessen Wahlveranstaltung am Abend war die Atmosphäre gedrückt, viele kamen gar nicht erst oder gingen rasch wieder nach Hause. Die RN Anhänger hatten schon ihren Chef Jordan Bardella als nächsten Premierminister gesehen.
Davon kann nun keine Rede mehr sein. Keiner der drei Blöcke erzielte die absolute Mehrheit von mindestens 289 der 577 Sitze in der Nationalversammlung. Ersten Hochrechnungen zufolge können die Linken von 172 bis 192 Sitzen rechnen, Macrons Allianz mit 150 bis 170 und der RN mit 132 bis 152. Das sind zwar deutlich mehr als die bisherigen 88 RN-Abgeordneten. Aber das Ergebnis liegt weit hinter den selbst geschaffenen Erwartungen zurück. Die Republikaner lagen bei 57 bis 67 Sitzen und damit besser als erwartet.
Hohe Wahlbeteiligung
Aufgrund der außerordentlichen Dynamik für die Rechtsaußen-Partei in allen Umfragen und auch bei der ersten Runde vor einer Woche hatte die Wahl als historisch gegolten. Dementsprechend groß war das Interesse trotz der gerade begonnenen Sommerferien. Die Wahlbeteiligung war ungefähr so hoch wie bei der ersten Runde, als 67 Prozent der Berechtigten ihre Stimme abgaben.
LFI-Chef Jean-Luc Mélenchon versuchte, sich als unbestreitbarer Anführer der Linken aufzuschwingen, indem er kurz nach 20 Uhr als Erster, noch vor Vertretern seiner Bündnispartner, vor die Mikrofone trat. "Die Lektionen des Votums sind eindeutig: Die Niederlage des Präsidenten und seiner Koalition ist klar bestätigt, der Präsident muss sie eingestehen, ohne zu versuchen, sie auf irgendeine Weise zu umgehen", tönte der linke Volkstribun, den viele auch aus dem eigenen Lager kritisch sehen, auch weil ihm immer wieder Antisemitismus vorgeworfen wurde.
Im Vorfeld der Wahl war ein Streit darüber entbrannt, welche Persönlichkeit die Linken im Fall eines Wahlsiegs, der zunächst als utopisch galt, als Premierminister vorschlagen würden. Die Debatten darüber werden künftig noch mehr Fahrt aufnehmen.
Strategie gegen Le Pen ging wohl auf
Mit bedingt wurde die Niederlage für den RN, weil sich die anderen Parteien im Vorfeld gegen Rechtsaußen verbündet hatten. In mehr als 200 Wahlbezirken, wo sich Kandidaten der drei großen Lager RN, Neue Volksfront und Macrons Mitte-Bündnis für die zweite Runde qualifiziert hatten, zogen sich die Drittplatzierten zurück, um die Wahlchancen der RN-Bewerber zu schmälern. Es war ein Wiedererstarken einer "republikanischen Front" gegen die Rechtsextremen, die jahrzehntelang üblich war. Zuletzt hatte sie gebröckelt – bis nun eine Übernahme der Macht durch die Partei greifbar erschien.
Ökonomen, Gewerkschafter, Künstler, Musiker und Sportler wie Fußball-Star Kylian Mbappé hatten im Vorfeld davor gewarnt. Geschäftsinhaber in den größeren Städten fürchteten Ausschreitungen am Rande von Protesten gegen Rechts und verbarrikadierten teils ihre Läden. Landesweit waren 30.000 Polizisten und Gendarmen im Einsatz, davon 5000 in Paris.
Macron entfernt sich von allen
Macrons Lager hatte zwar das Nachsehen, allerdings war das Resultat weniger dramatisch als befürchtet. Durch seine einsam und überraschend getroffene Entscheidung am Abend der EU-Wahlen, die Nationalversammlung aufzulösen, hat er sich noch weiter von den Menschen entfernt – und von bisher loyalen Mitstreitern. Innenminister Gérald Darmanin hat angekündigt, nach der Wahl das Kabinett verlassen zu wollen und, sollte er ein Mandat erhalten, lieber als einfacher Abgeordneter "ein neues Projekt aufzubauen". Und das wenige Wochen vor den Olympischen Spielen in Paris, bei denen die von Darmanin betreuten Sicherheitsfragen entscheidend für das Gelingen sein werden.
Neuheit in Frankreich: Muss eine Koalition her?
Für den Staatschef steht nun eine komplizierte "Kohabitation" an, bei der der Präsident und der Regierungschef nicht vom selben politischen Lager sind. Damit drohen mühsame Absprachen oder gar eine Blockade, sollten Kompromisse nicht gelingen. Zwar ließen in den vergangenen Tagen Politiker verschiedener Parteien, darunter Grünen-Chefin Marine Tondelier, durchscheinen, dass sie sich einer Regierungsbeteiligung nicht verwehren würden. Diese Wahrscheinlichkeit wird nun konkreter.
Zuletzt zirkulierten Gerüchte, Macron könne entgegen seinen eigenen Versicherungen vorzeitig zurücktreten. "Er ist zu allem fähig", sagte ein Minister anonym in der Zeitung "Le Parisien". "Ich weiß nicht, was in seinem Kopf vorgeht, er ist unerreichbar geworden", eine Ministerin. Klar erscheint, an diesem Montag beginnt in Frankreich eine neue politische Ära.
neue Ära.
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