Wahl in Polen: Von Bruder zu Bruder

Ein Familien-Drama, das seinesgleichen sucht: Bei der Wahl am Sonntag könnte Lech Kaczynskis Zwillingsbruder Jaroslaw dessen Nachfolge übernehmen. Doch noch ist nichts entschieden
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Jaroslaw Kaczynsk
dpa Jaroslaw Kaczynsk

WARSCHAU - Ein Familien-Drama, das seinesgleichen sucht: Bei der Wahl am Sonntag könnte Lech Kaczynskis Zwillingsbruder Jaroslaw dessen Nachfolge übernehmen. Doch noch ist nichts entschieden

Am Freitag wäre auch noch ihr gemeinsamer 61. Geburtstag gewesen. Es ist, als ob in Polen eine unsichtbare Choreografie am Werk wäre, die das Land sein ganzes Drama um den abgestürzten Präsidenten auf ein Neues durchleben lässt. Vorläufiger Höhepunkt ist dieser Sonntag: Polen wählt einen Ersatz für den toten Staatschef Lech Kaczynski. Einiges spricht dafür, dass die Wahl auf seinen Zwillingsbruder Jaroslaw fällt. Der überlebende Zwilling folgt dem toten Bruder nach – wenn das kein Stoff für schwermütige osteuropäische Literaten ist!

Die verwundete polnische Seele macht in diesem Tagen alles noch mal durch: Der verhängnisvolle Flug vom 10. April nach Smolensk. Der symbolträchtige Ort Katyn, an dem Lech Kaczyinski der vom sowjetiaschen Geheimdienst ermordeten Russen gedenken wollte. Der viermalige erfolglose Versuch, zu landen. Der Absturz der Tupolew. Der Tod der halben polnischen Führtungselite inklusive des Präsidenten-Ehepaares Lech und Maria.

Und dann das nationale Trauma nach dem Schock: Die Heimholung der Särge, die trauernden Millionen auf den Straßen, der Streit um den Begräbnisort auf der Krakauer Königsburg Wawel. Und die rasend schnelle Wandlung des vormals wenig geliebten Präsidenten zum vom Volk verehrten Beinahe-Nationalheiligen.

Doch noch ist keinesfalls ausgemacht, dass all das mit der Krönung des Zwillingsbruders seinen Abschluss findet. Jaroslaw Kaczynski startete zwar spät in den Wahlkampf, kommt aber mittlerweile dennoch auf gute Umfragewerte. Eine letzte Prognose am Freitag sagte ihm sogar den Sieg im ersten Wahlgang voraus.

Doch viele halten das für unwahrscheinlich, zumal Kaczynski einen starken Gegenkandidaten hat: den Parlamentspräsidenten Bronislaw Komorowski. Der 58-Jährige gilt als Vertrauter des moderaten Regierungschefs Donald Tusk. Und anders als der eher herbe Kaczynski setzt Komorowski auf verbindliche Töne: „Versöhnen, statt spalten“, lautet sein Motto und „Eintracht baut auf“.

Doch je näher der Wahltag rückt, um so mehr packt auch Kaczynski die Versöhnungskarte aus: „Beenden wir den polnisch-polnischen Krieg“, sagte er und appellierte an die Seele der Nation: „Am wichtigsten ist Polen.“ Gleichzeitig setzt er stark auf das Schicksal seines toten Bruders. Er wolle am Sonntag gewinnen, um „das politische Vermächtnis“ von Lech zu vollenden, sagt er.

Am Freitag legte Jaroslaw in Krakau am Grab des Bruders Blumen nieder. Wahlkampf oder Bruderliebe? Sicher beides. mue

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