Vier Monate Bedenkzeit

BRÜSSEL - Der EU-Gipfel in Brüssel einigt sich auf einen Minimalkompromiss, um Lissabon zu retten. Der Ratifizierungsprozess zur Annahme des Lissabon-Vertrags wird trotz des irischen Neins fortzusetzen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel musste es mal wieder richten: Erst nach einem Krisenfrühstück der Kanzlerin am Freitagmorgen lenkte der widerspenstige Tschechen-Premier Mirek Topolánek ein und stimmte dem Abschlussdokument des Brüsseler EU-Gipfels zu. Darin einigten sich die 27 Staats- und Regierungschefs darauf, den Ratifizierungsprozess zur Annahme des Lissabon-Vertrags trotz des irischen Neins fortzusetzen.
Auf dringenden Wunsch Topoláneks hält eine Fußnote in der Erklärung fest, dass die Ratifizierung in seinem Land unter juristischem Vorbehalt steht: In Tschechien berät derzeit das Verfassungsgericht darüber, ob der Lissabon-Vertrag mit dem nationalen Grundgesetz vereinbar ist. Der Prager Premier gab sich in Brüssel pessimistisch: „Um ehrlich zu sein: Stünde die Ratifizierung jetzt an, würde ich nicht einmal 100 Kronen (gut vier Euro) darauf setzen, dass es ein Ja gibt.“ Kaum war der Gipfel beendet, sickerte durch, dass die Regierung Topolánek selbst das Urteil verschleppt: Ein Sprecher bestätigte am Freitag, dass dem Gericht bislang noch nicht einmal eine offizielle Übersetzung des Vertrags ins Tschechische vorliege. Auch warte man nach wie vor auf eine angeforderte Stellungnahme der Regierung.
Kein konkretes Datum
Um der irischen Regierung jeden Druck zu nehmen, verzichteten die EU-Granden darauf, ein konkretes Datum zu nennen, bis zu dem der Lissabon-Vertrag in Kraft treten soll. Die Teilnehmer konnten sich lediglich zur der wachsweichen Formulierung durchringen, dass die Iren beim nächsten Gipfel im Oktober „Vorschläge zum weiteren Vorgehen unterbreiten“ sollten. Unter der Hand versicherten Diplomaten jedoch, dass die EU fest mit einem zweiten Referendum in Irland rechne.
Mit einem Veto hatte in Brüssel übrigens auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy gedroht, der im Juli für ein halbe Jahr die EU-Präsidentschaft übernimmt. „Ohne den Lissabon-Vertrag gibt es keine Erweiterung“, sagte der Franzose. Seine Drohung betreffe auch Kroatien, so Sarkozy. Dessen Beitrittsverhandlungen sind bereits weit fortschritten, Zagreb strebt den Beitritt bis Herbst 2009 an.
Unterdessen wurde bekannt, dass beim Referendum in Irland vor allem junge Leute gegen den Lissabon-Vertrag gestimmt haben. Laut einer Meinungsumfrage im Auftrag der EU stimmten 65 Prozent der Bürger im Alter von 18 bis 24 Jahren gegen den Vertrag. In der Altersgruppe von 25 bis 39 Jahren waren es immerhin noch 60 Prozent.