Verhafteter Karadzic schweigt beim ersten Verhör
BELGRAD - Er soll stark abgemagert sein und verweigert jede Auskunft: Der als Kriegsverbrecher angeklagte Serbe hat bisher nur geäußert, das Verfahren gegen ihn sei eine Farce. In Sarajewo feierten die Menschen Karadzics Festnahme, in Belgrad demonstrierten seine Anhänger.
Bei seiner ersten Vernehmung durch den Staatsanwalt hat der als Kriegsverbrecher angeklagte Serbe Radovan Karadzic zu allen Vorwürfen geschwiegen. Der früher korpulente Mann sei abgemagert und verweigere die angebotene Nahrung, sagte sein Anwalt Svetozar Vujacic am Dienstagmorgen in Belgrad. Das ganze Verfahren gegen ihn sei eine «Farce», habe der 63-Jährige dem Untersuchungsrichter gesagt. Ein Gerichtsmediziner hat Karadzic noch in der Nacht untersucht und ihm eine stabile gesundheitliche Verfassung bescheinigt, sagte der Anwalt weiter.
Die Festnahme sei am Montagabend erfolgt und «eine Aktion der serbischen Sicherheitsdienste» gewesen, erklärte das Büro des serbischen Präsidenten Boris Tadic. Aus Polizeikreisen hieß es, Karadzic sei nach wochenlanger Beobachtung in einem Haus in einem Belgrader Vorort festgenommen worden. Zuvor habe es einen Tipp von einem ausländischen Geheimdienst gegeben.
Karadzic behauptete nach Darstellung seines Anwaltes, er sei bereits am Freitagabend verhaftet worden. Man habe ihn aus einem Linienbus geholt, der zwischen Neu-Belgrad und der nahe gelegenen Gemeinde Batajnica verkehrt. Ihm sei eine Kappe übers Gesicht gezogen worden, so dass er die Umstände seiner Verhaftung nicht kenne. Seitdem sei er «in einem Raum» festgehalten worden. Der Untersuchungsrichter hat Karadzic zugesagt, diesen Behauptungen nachzugehen.
Karadzic war seit Mitte der 90er Jahre auf der Flucht. 1996 war er zum letzten Mal in Bosnien gesehen worden. Nach Darstellung des UN-Tribunals ist der Psychiater von Helfershelfern in der serbischen Armee, Politik und im Geheimdienst gedeckt worden. Die USA hatten 1998 eine Belohnung von fünf Millionen Dollar für die Ergreifung des meistgesuchten Serben ausgelobt. Die in diesem Jahr gestürzte Regierung des Nationalkonservativen Vojislav Kostunica soll eine Verhaftung von Karadzic verhindert haben, lautet der Vorwurf des Tribunals.
Nach der Festnahme von Karadzic versammelten sich in der Nacht Dutzende seiner Anhänger vor dem Gerichtsgebäude in Belgrad, in dem der Festgenommene dem Untersuchungsrichter vorgeführt wurde. Schwerbewaffnete Einheiten der serbischen Polizei zogen in der Nacht zum Dienstag vor dem Gebäude auf. Auch die US-Botschaft, die bereits im Februar im Kosovo-Konflikt zur Zielscheibe serbischer Ultranationalisten geworden war, wurde von der Polizei geschützt. Mehrere Anhänger Karadzics vor dem Gebäude wurden festgenommen, nachdem sie Reporter angegriffen hatten. Karadzic wird von vielen Serben immer noch als Patriot verehrt. «Karadzic, du Held», riefen seine Anhänger, und «Tadic, du Verräter».
Mit Autokorsos und Hupkonzerten feierten dagegen bosnische Muslime in der Nacht zum Dienstag in Sarajewo die Festnahme Karadzics. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der bosnischen Hauptstadt. Viele Bewohner zogen jubelnd, singend und tanzend auf die Straßen.
Die französische EU-Ratspräsidentschaft begrüßte die Festnahme als «wichtigen Schritt auf dem Weg hin zu einer Annäherung Serbiens an die EU.» Lob für Belgrad kam auch von den USA und dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Serbien steht seit Jahren unter erheblichem internationalem Druck, mutmaßliche Kriegsverbrecher an das Tribunal auszuliefern. Karadzic ist wegen Völkermordes und anderer Verbrechen angeklagt. So wird er beispielsweise gemeinsam mit dem damaligen Befehlshaber der bosnisch-serbischen Streitkräfte, Ratko Mladic, für das Massaker von Srebrenica verantwortlich gemacht, bei dem 8000 Muslime ermordet wurden.
Der Chefankläger des Haager Tribunals, Serge Brammertz, gratulierte den serbischen Behörden zu der Festnahme. «Das ist ein wichtiger Tag für die Opfer, die seit über einem Jahrzehnt auf diese Nachricht gewartet haben», sagte er. «Es ist auch ein wichtiger Tag für die internationale Justiz, da dies klar vor Augen führt, dass niemand außerhalb des Gesetzes steht und dass alle Flüchtigen früher oder später der Justiz überstellt werden.» Sollte Karadzic nach Den Haag ausgeliefert werden, wäre er der 44. Serbe, der dem Tribunal überstellt wird. Prominentester Verdächtiger war bislang der frühere serbische Präsident Slobodan Milosevic, der 2000 gestürzt wurde und 2006 in Untersuchungshaft in Den Haag starb.
(dpa/AP)