Vater von Uwe Mundlos beschimpft Richter Götzl

München "Sie sind ein kleiner Klugsch...“ – „Was fällt Ihnen ein!“ – „Nennen Sie mich gefälligst Professor!“ – „Nein, Sie sind Doktor!“ – „Lassen Sie mich ausreden!“ – „Nein, Sie lassen mich ausreden!“ - „Sie können mit Ordnungsmaßnahmen rechnen!“
Es geht hoch her am 69.Verhandlungstag im NSU-Prozess. Prozessbeteiligte stöhnen, es werden Augen gerollt und Köpfe geschüttelt, der Zeuge beißt lautstark in einen Apfel, das Publikum lacht sarkastisch auf – es wäre fast lustig, wenn es hier nicht um einen Mordprozess mit zehn Opfern ginge.
Es war der denkwürdige Auftritt des Professor Dr. Siegfried Mundlos, des Vaters von Uwe Mundlos, der am 4. November 2011 in einem Wohnmobil bei Eisenach starb. Laut Anklage bildete er zusammen mit Uwe Böhnhardt (†34) und Beate Zschäpe (38) den rechtsterroristischen NSU. Die neonazistische Mörderbande brachte von 2000 bis 2006 neun Menschen um, weil sie ausländischer Herkunft waren, das zehnte Opfer war die Polizistin Michele Kiesewetter in Heilbronn.
Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft war Zschäpe gleichberechtigtes Mitglied im Terror-Trio. Das Gericht hat schon viel erlebt in den vergangenen Monaten: Die herzzerreißende Aussage eines türkischen Vaters, der seinen sterbenden Sohn in seinem Blut fand; die gespenstischen Auftritte von Brigitte Böhnhardt, die ihren Sohn noch im Untergrund mit Geld und seine Freundin Zschäpe mit Plätzchen-Rezepten versorgte; den flehentlichen Appell einer Mutter an die mutmaßliche Terroristin Zschäpe, sie möge doch etwas beitragen zur Aufklärung der schlimmsten rechtsradikalen Mordserie der Bundesrepublik.
Zschäpe schwieg immer, lutschte Drops, plauderte mit ihren Anwälten. Diesmal hatte auch sie was zu grinsen.
Als Vater Mundlos beispielsweise belegen wollte, wie naiv der Uwe doch gewesen sei: Wie er einst lautstark in der Straßenbahn darüber gesprochen habe, dass der Papa „ohne Fahrerlaubnis Auto gefahren“ sei. Wie alt der Sohn denn da gewesen sei, will Richter Manfred Götzl wissen. Der Vater antwortet: „Fünf.“
Nun ist Dr. Siegfried Mundlos kein einfältiger Tropf: Bis zu seiner Pensionierung war er der 67-jährige Professor für Informatik. Seinem Ton hört man an, dass er zu belehren gewohnt ist, und dass er nicht gerne unterbrochen wird. Doch bei Richter Götzl kommt er dabei an den falschen.
Die beiden liefern sich Scharmützel und Wortgefechte, wenn der Zeuge abschweift. Und das tut er oft.
Kern seiner Aussagen: Uwe Mundlos sei ein hilfsbereiter Junge gewesen, er habe sich rührend um Robert gekümmert, seinen um zwei Jahre älteren Bruder, der schwerst behindert ist. Er habe Chancen gehabt, sogar das Abitur nachzuholen, und zu studieren – wenn, ja wenn da der Verfassungsschutz nicht gewesen wäre. Der und der allein, so die Weltsicht des Professors, habe den Sohn und „die Beate“ immer tiefer in den rechten Sumpf gezogen.
Zwar habe er sehr wohl „das rechte Gedankengut“ bemerkt, dem sein „naiver“ Sohn angehangen habe. Worin das bestand, wird nicht recht klar. Aber immerhin war es wohl so krasses Zeug, dass sich Vater Mundlos weigerte, die Leiter herzuleihen, mit der Uwe und seine Neo-Nazi-Freunde Plakate aufhängen wollten.
Bemerkt hat er auch die Glatze und die Springer-Stiefel – aber welche Themen denn so erörtert wurden mit Uwe im Hause Mundlos, daran mag sich der Vater partout nicht erinnern. Richter Götzl hakt lange nicht kräftig nach, deshalb kommt auch wenig raus.
Rad gefahren sei der Sohn gerne – „mit hochwertigen Mountainbikes“, sagt der Vater. Es gehörte zum Profil der NSU-Morde, dass die Täter mit Mountainbikes kamen und flohen.
Großen Wert legt der Vater auf die angeblich völlig harmlose Rolle, die Beate Zschäpe gespielt habe. Man habe Weihnachten zusammen gefeiert Anfang der Neunziger, Beate habe sich sehr „um Kleidung gekümmert“ und sich an den Springerstiefeln des Sohnemanns gestört. „Keinesfalls“ sei sie rechts gewesen: Sie sei ein „relativ normales Mädchen“ gewesen, und schon gar nicht fremdenfeindlich: „Sie hatte doch einen rumänischen Vater.“
Nur einmal verliert der Professor fast die Fassung: Er versucht, den jüngeren Komplizen Böhnhardt als gemeingefährlichen Bösewicht, „als tickende Zeitbombe“ zu porträtieren. Als der Richter fragt, warum er nicht darüber mit seinem Sohn geredet habe, nennt er Götzl einen „kleinen Klugsch ...“
Er stoppt mitten im Wort. Und auch Götzl, durchaus bekannt für starke Auftritte, stoppt sich kurz vor einem Tobsuchtsanfall. Er hat einen guten Tag.
Er habe gehofft, dass Uwe „andere Freunde" haben würde, sagt Mundlos, dass der Sohn „den Schleier vor den Augen verlieren“ werde: „Da habe ich mich getäuscht.“ Uwe Mundlos galt im NSU als der geistige Kopf, wenn man in der Szene von so etwas reden kann.
Siegfried Mundlos hat schon vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss ausgesagt, er hat sich viel angelesen. Er verbreitet wieder die These, dass der Staat an allem schuld ist – wie immer. „Ich kenne das aus der DDR“, sagt er, „wie die Stasi versucht hat, Menschen reinzulegen.“ Der Professor macht da keinen Unterschied zum Nachwende-Deutschland.
Er erzählt, wie V-Mann Tino Brandt „mit hunderttausenden Mark“ Steuergeld die Neo-Nazi-Szene in Thüringen überhaupt erst am Leben erhalten habe. Er nehme in Kauf, als Verschwörungstheoretiker zu gelten. Das nachgewiesene Versagen der Verfassungsschützer in der NSU-Mordserie macht die Aussagen des Vaters schmerzhafter, wenn auch nicht unbedingt schlüssiger.
Das Motiv des Vaters, seinen Sohn reinzuwaschen, ist menschlich verständlich. Weniger verständlich sind die Gedächtnislücken, auf die sich der Vater beruft, wenn es um das Gedankengut seines Sohnes geht. Das Gericht jedenfalls zeigt bis zum Nachmittag viel Nachsicht mit dem Zeugen.
Wie gesagt: Götzl hat seinen milden Tag. „Ich mach das ja auch schon seit ein paar Jahren“, sagt er, nachdem der Professor krachend in einen Apfel gebissen hatte: „Aber dass ein Zeuge hier seine Brotzeit auspackt, das habe ich noch nicht erlebt.“ Und dass er Klugscheißer genannt werden sollte, sicher auch nicht. Matthias Maus