USA-Experte Braml zur Ukraine-Konferenz: "Der Gipfel hat Bewegung in die festgefahrene Lage gebracht"


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War das Spitzentreffen am Montagabend im Weißen Haus tatsächlich ein erster Schritt zum Frieden in der von Russland überfallenen Ukraine? Und wie geht es jetzt weiter? Die AZ hat darüber mit dem renommierten Politikwissenschaftler Josef Braml gesprochen.
Geht es Trump nur um den Nobelpreis?
AZ: Herr Braml, böse Zungen behaupten, US-Präsident Donald Trump gehe es bei seinem aktuellen Engagement eigentlich nur um eins: Er will den Friedensnobelpreis. Wie sehen Sie das?
JOSEF BRAML: Diese Spekulation kursiert in politischen Kreisen. Trumps Inszenierung als Friedensstifter, seine medienwirksamen Ankündigungen und die Betonung seiner Rolle als Vermittler lassen vermuten, dass er sich als Kandidat für den Friedensnobelpreis positionieren möchte. Seine Strategie kann als Mischung aus Druck, Inszenierung und taktischer Unklarheit beschrieben werden – ein typisches Muster für jemanden, der wie Trump auf maximale Aufmerksamkeit und Anerkennung aus ist.

Hat der Gipfel in Washington einen baldigen Frieden in der Ukraine wahrscheinlicher gemacht?
Er hat Bewegung in die festgefahrene Lage gebracht. Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj trafen sich persönlich, begleitet von führenden europäischen Politikern wie Friedrich Merz, Ursula von der Leyen, Emmanuel Macron und Giorgia Meloni. Trump kündigte an, ein direktes Treffen zwischen Selenskyj und Wladimir Putin zu organisieren – ein Schritt, der zuvor von Moskau abgelehnt wurde.
Bislang hat der Kreml kein Treffen bestätigt
Geht es nach Trump, soll es innerhalb von zwei Wochen stattfinden. Wie realistisch ist das?
Trump hat erklärt, dass ein solches Treffen vorbereitet werde. Selenskyj spricht sich seit einiger Zeit für ein solches Gespräch aus und weist darauf hin, dass russische Unterhändler keine Entscheidungsbefugnis besitzen. Die Umsetzung eines Treffens ist jedoch von der Bereitschaft Moskaus abhängig. Putins Berater Juri Uschakow erwähnte, dass Verhandlungen auf höherer Ebene geplant seien, bestätigte jedoch kein direktes Treffen der Präsidenten.

Zu welchen Bedingungen wäre ein Frieden denkbar? Muss die Ukraine auf Gebiete verzichten?
Trump machte deutlich, dass eine Rückgabe der Krim ausgeschlossen sei und ein Nato-Beitritt der Ukraine nicht zur Debatte stehe. Diese Positionen deuten darauf hin, dass territoriale Zugeständnisse von der Ukraine erwartet werden könnten. Trump kann weiterhin militärische Hilfe als Druckmittel nutzen, um Selenskyj zu Verhandlungen zu zwingen – mit der impliziten oder expliziten Drohung, diese Hilfe einzustellen. Es ist noch unklar, ob Trump insoweit auf Putins Linie eingeschwenkt ist, der nun über den Verhandlungsweg die für die Sicherheit der Ukraine wichtigen Teile des Donbass fordert, die Russland bislang noch nicht militärisch einnehmen konnte.
Braml: "Entscheidend ist, ob Waffenstillstand oder Frieden Bestand haben"
Bundeskanzler Friedrich Merz fordert, dass es vor dem nächsten Treffen einen Waffenstillstand geben muss. Trump hält das eher für unwichtig. Wer wird sich durchsetzen?
Bundeskanzler Friedrich Merz betonte, dass ein Waffenstillstand Voraussetzung für weitere Gespräche sein müsse. Trump hingegen agiert im Sinne Putins und sieht den Waffenstillstand nicht als zwingende Bedingung. Da Trump als Gastgeber und Initiator des Gipfels agiert, könnte seine Linie dominieren – es sei denn, die Europäer setzen geschlossen auf Merz’ Forderung. Entscheidend ist indes, ob Waffenstillstand oder Frieden Bestand haben. Dafür sind Sicherheitsgarantien notwendig, wobei die USA beteiligt sein müssen.

Wie könnten diese Sicherheitsgarantien für die Ukraine aussehen?
Ein Fortschritt war Trumps Zustimmung, dass die USA sich daran beteiligen werden. Nato-Generalsekretär Mark Rutte sprach von einem „echten Durchbruch“. Zwar äußerten sich europäische Vertreter wie Friedrich Merz und Mark Rutte vorsichtig optimistisch, doch bleibt unklar, wie belastbar diese Garantien sind – insbesondere wenn sie nicht durch eine Nato-Mitgliedschaft abgesichert sind. Die Details sind noch unklar, aber es wird erwartet, dass die Europäer die Hauptlast der Sicherheitsgarantien übernehmen, flankiert von den USA. Doch Putin lehnt bisher Friedenstruppen aus Nato-Staaten ab.
Das sind die Folgen für Europa
Welche sicherheitspolitischen Folgen hat der Gipfel für Europa?
Der Ukraine-Gipfel hat Europa klargemacht: Der Kontinent muss sicherheitspolitisch eigenständiger werden. Die EU sollte sich darauf einstellen, zunehmend ohne uneingeschränkte Unterstützung der USA auszukommen – mit allen damit verbundenen Risiken und Chancen. Europa muss sich auf eine Ära vorbereiten, in der die USA – insbesondere unter Donald Trump – kein verlässlicher Sicherheitspartner mehr sind. Die Nato-Garantie könnte an Gewicht verlieren, was Europa zwingt, eigene militärische – auch nukleare – Kapazitäten zu stärken.

"Europa steht vor einer historischen Bewährungsprobe"
Was heißt das konkret?
Diese strategische Neuausrichtung bedeutet zum einen von den USA unabhängige europäische Rüstungsprojekte, um sich gegen Erpressungsversuche von außen zu wappnen. Zum anderen sind mehr Investitionen in Verteidigung nötig statt Sozialausgaben. Die Europäer werden damit in ein „Butter oder Kanonen“-Dilemma hineingeraten, das von extremistischen und anti-europäischen Parteien ausgenutzt werden kann, die mit Moskau sympathisieren und die Sicherheitsgefahren herunterspielen. Europa steht also vor einer historischen Bewährungsprobe.
Inwiefern?
Entweder es gelingt uns, eine politisch flankierte Wirtschafts- und Verteidigungsunion zu schaffen, oder Europa zerbricht und die einzelnen Länder können dann von Großmächten wie Russland, China oder den USA dominiert und ausgenutzt werden.