Ursula Herrmann: Wird das Rätsel nun endlich gelöst?

Der Tod der zehnjährigen Ursula Herrman ist eines der spektakulärsten Verbrechen in der bayerischen Kriminalgeschichte. Heute, 27 Jahre später, beginnt der Prozess gegen Werner M. Er soll Ursula verschleppt und in die kleine Kiste gesperrt haben, in der sie erstickte. Seine Frau soll ihm geholfen haben.
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Der Tod der zehnjährigen Ursula Herrman ist eines der spektakulärsten Verbrechen in der bayerischen Kriminalgeschichte. Heute, 27 Jahre später, beginnt der Prozess gegen Werner M. Er soll Ursula verschleppt und in die kleine Kiste gesperrt haben, in der sie erstickte. Seine Frau soll ihm geholfen haben.

Fast 27 Jahre blieben die Entführung und der schreckliche Tod der zehnjährigen Ursula Herrmann aus Eching am Ammersee ungeklärt. Erst im Mai vergangenen Jahres präsentierten die Augsburger Staatsanwaltschaft und Ermittler des Landeskriminalamtes (LKA) einen früheren Nachbarn der Herrmanns als mutmaßlichen Täter: Werner M. (58). Er betrieb zur Tatzeit am Ammersee eine „TV-Klinik“ und hatte 150000 Mark Schulden. Zuletzt lebte der hünenhafte Mann in Kappeln in Schleswig-Holstein, wo er sich als Inhaber eines Skipperladens einen Lebenstraum erfüllt hatte.

Ab heute muss sich Werner M. vor dem Schwurgericht Augsburg wegen erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge verantworten. Seine Frau Gabriele (52) ist wegen Beihilfe angeklagt. Beide bestreiten die Tat. 53 Verhandlungstage wurden für den Mammut-Indizienprozess anberaumt, mehr als 200 Zeugen werden erwartet. Der Prozess wird weit über hunderttausend Euro kosten. Den überwiegenden Anteil der Honorare für die vier Anwälte der Angeklagten wird die Staatskasse tragen, da das Ehepaar weitgehend mittellos ist. Mit einem Urteil ist frühestens Ende 2009 zu rechnen.

Die wichtigsten Fragen und Rätsel zum Prozessauftakt:

Warum dauerten die Ermittlungen 27 Jahre?

Die Spurensicherung am Tatort und deren Auswertung im Jahr 1981 sind nicht zu vergleichen mit heutigen Methoden. Von DNA-Spuren wusste man damals noch nichts. Viele andere Spuren wurden unabsichtlich zerstört. Mehrere Hundertschaften der Polizei suchten im Wald nach dem vermissten Mädchen. Als es tot aufgefunden wurde, kamen viele aus der Gemeinde zum Fundort. Diese „Tatort-Touristen“, aber auch „Berechtigte“ zerstörten Spuren der Täter und hinterließen gleichzeitig eigene, irreführende: So ließen Helfer beispielsweise dutzende Kronkorken im Wald zurück, nachdem sie pausiert hatten. Wenig förderlich für die Ermittlungen war ein Kompetenz- und Zuständigkeitsgerangel bei der Polizei. Die Pannen werden im Prozess ebenfalls Thema sein.

Warum wurde Werner M. Nicht schon 1981/82 verhaftet?

Den ersten Verdacht gegen Werner M. gab es schon wenige Tage nachdem Ursula Herrmann gefunden wurde. Ein zunächst anonymer Anrufer hatte ihn beschuldigt. M. wurde vorläufig festgenommen und immer wieder befragt. Doch die Indizien gegen ihn hätten damals nicht für einen Haftbefehl ausgereicht, sagt Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz aus Augsburg.

Auf welche Indizien stützt sich jetzt die Anklage?

Werner M. ist Sohn eines Polizisten, ausgebildeter Kfz-Mechaniker und TV-Techniker. Er ist handwerklich geschickt und er hatte ein Motiv: hohe Schulden. Ein inzwischen verstorbener Bekannter gab an, er habe für M. ein Loch im Wald graben sollen. Nach der Tat hörte Werner M. den Polizeifunk ab. Am Tatort wurde ein Fernglas gefunden. Als Werner M. gefragt wurde, ob er eines besäße, belog er die Beamten. 2007 hörte die Polizei ein Gespräch ab, bei dem Werner M. sagte, dass Ursula Herrmanns Tod „kein Mord“ sondern „ein Betriebsunfall“ gewesen sei. Zudem soll er sich mehrmals in Widersprüche verwickelt haben.

Das Rätsel um das Tonbandgerät von Grundig Typ TK 248

Ausschlaggebend für den Haftbefehl vom Mai 2008 war ein Grundig-Tonbandgerät TK 248, mit dem der Erpresser den Eltern von Ursula Herrmann am Telefon eine Melodie vorgespielt hat. Die Polizei fand es Werner M. als sie seine Wohnung im Oktober 2007 erneut durchsuchte. Ein LKA-Gutachten kommt zu dem Schluss, dass es signifikante Defekte aufweist und „wahrscheinlich“ das Gerät ist, mit dem versucht wurde, Ursulas Eltern um zwei Millionen Mark zu erpressen.

Warum wurde das Erpresser-Tonband erst 2007 gefunden?

Bereits 1981/82 durchsuchte die Polizei bei Werner M. Suchten die Beamten möglicherweise nicht nach dem Tonband? Übersahen sie es? Oder besaß es Werner M. damals noch nicht? Der Angeklagte behauptet, er habe das Gerät 2007 auf einem Flohmarkt gekauft.

Warum gibt es keine Spuren von den Angeklagten?

Ab 2002 gelang es dem Erkennungsdienst und der Rechtsmedizin an der Kiste und anderen Spurenträgern DNA-Spuren frei zu legen. Doch diejenigen, die seitdem zugeordnet werden konnten, stammten nach bisherigen Erkenntnissen nicht von den Tätern. Etwa 20 dieser DNA-Spuren sind noch offen. Ein Abgleich mit der DNA von Werner und Gabriele M. ergab keine Treffer. Auch ihre Fingerabdrücke wurden nirgends gefunden. „Es hat in einem Verfahren noch nie so wenig Handfestes gegeben“, sagt Werner M.'s Verteidiger Walter Rubach. „Es gibt nichts! Bis auf das Tonband, handelt es sich nur um eine Neubewertung altbekannter Indizien.“

Wie kamen an den Tatort Haare eines Eichhörnchens?

In der Kiste wurden Haare von Menschen, aber auch von einem Eichhörnchen gefunden. Ein Indiz, das laut Anwalt Rubach auf einen ganz anderen Verdächtigen deutet: den Ex-Polizisten Harald W. Er stand fünf Jahre als Hauptverdächtiger im Visier der Ermittler. Sein Bruder, ein Arzt, kämpft bis heute um dessen Rehabilitierung. „Dieser falsche Verdacht hat meinen Bruder zugrunde gerichtet. Er hat sich aus Verzweiflung zu Tode getrunken“, sagte er der AZ. Harald W. hatte eine Jagd in dem Tatort-Wald. 1981 herrschte dort eine Eichhörnchen-Plage. Die Jäger sollten möglichst viele erschießen.

Was wird der Ehefrau Gabriele M. (52) zur Last gelegt?

Die gelernte Herrenschneiderin wurde im Sommer 1981 von einer Nachbarin im Garten gesehen, als sie Papier zerschnitt. Die Zeugin ist inzwischen gestorben. Die Staatsanwaltschaft nimmt an, dass Gabriele M. damals aus Zeitungen die Buchstaben für den Erpresserbrief ausgeschnitten hat. Auch soll sich die Frau, die seit einem Verkehrsunfall 1979 gehbehindert ist, in Widersprüche verwickelt haben. Wäre sie nicht angeklagt worden und nur als Zeugin vor Gericht erschienen, hätte das Gericht ihre früheren Aussagen nicht verwerten können. Als Ehefrau hätte sie sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen können.

Gibt es eine Verbindung zum Mordfall Böhringer?

In beiden Fällen wurde Gen-Material des selben noch unbekannten Verursachers gefunden. Am wahrscheinlichsten ist, dass es bei der Spurensicherung oder im Labor zu einer Übertragung der Spuren kam. Doch der Sachverhalt wurde nie endgültig geklärt.

Reichen die Indizien für eine Verurteilung aus?

Das wird sich erst am Ende des Prozesses zeigen. Die Indizienlage gegen die Frau gilt unter Juristen als sehr dünn. Die Eltern von Ursula Herrmann wollen sich erst ein genaues Bild machen, bevor sie sich ein persönliches Urteil erlauben. Sie lassen sich durch die Anwältin Marion Zech vertreten. Sie wollen nicht selbst am Prozess teilnehmen, jedoch als Zeugen aussagen. Ursula Herrmanns Bruder, der zur Tatzeit 18 war, will den Prozess persönlich verfolgen.

Nina Job

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