Ungarn lässt Flüchtlinge in Züge nach Deutschland und Österreich steigen
Budapest – Seit Wochen herrscht in Budapest Ausnahmezustand. Derzeit sitzen laut der Hilfsorganisation Migration Aid bis zu 2000 Asylbewerber auf Budapester Bahnhöfen fest, weil ihnen das offenbar überforderte Einwanderungsamt keine Lager mehr zuweise.
Medienberichten zufolge hat sich die ungarische Polizei jetzt vom größten Brennpunkt, dem Ostbahnhof der ungarischen Millionenmetropole, zurückgezogen. Seit Montagmorgen strömen Flüchtlinge zu Hunderten in Züge nach Wien, München oder Berlin, berichtet das Internet-Portal origo. Bisher wurden sie an der Weiterreise gehindert.
Gerüchte, es würden durch die deutsche Regierung sogar Züge gechartert, um die Flüchtlinge aus Ungarn wegzubringen, dementierte Berlin am Montag. "Wer nach Ungarn kommt, muss sich dort registrieren lassen und das Asylverfahren dort durchführen", forderte das Bundesinnenministerium. Die Realität ist offenbar, dass Ungarn die Flüchtlingsmassen nun nicht mehr von der illegalen Weiterreise zurückhält. Von ungarischer Seite lag keine Erklärung für das geänderte Verhalten der Ordnungskräfte vor.
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In der Regel kaufen sich die Flüchtlinge entsprechende Fahrkarten selbst. Wie das ungarische Fernsehen meldete, bildeten sich seit dem Abzug der Polizisten vor den Fahrkartenschaltern lange Schlangen.
Wer ist verantwortlich für das Chaos an den Bahnhöfen?
Die ungarische Regierung hatte zuvor von Deutschland eine "Klärung der juristischen Fragen" zur Weiterreise von in Ungarn gestrandeten Flüchtlingen gefordert. "Während Ungarn sich an die EU-Regeln hält, legt Deutschland ein nachgiebigeres Verhalten an den Tag", sagte ein Regierungssprecher. Ungarn befolge die Regel, dass ein Mitgliedsland Nicht-EU-Bürger nur dann in ein anderes Mitgliedsland reisen lassen dürfe, wenn diese über ein gültiges Visum für dieses Land verfügten.
Die östlichen EU-Staaten Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn wollen ihre Haltung in der Flüchtlingskrise am Freitag oder Sonntag auf einem Gipfeltreffen abstimmen. Das kündigte der slowakische Ministerpräsident Robert Fico am Montag an. Dem Druck der westlichen EU-Staaten wolle er nicht nachgeben, sagte der Linkspolitiker: Verpflichtende Quoten zur Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU würden "nur die organisierte Kriminalität" fördern.
Die Innen- und Justizminister der 28 EU-Länder treffen sich am 14. September zu einer Sondersitzung. Bislang nehmen wenige Staaten, darunter Deutschland, das Gros der Flüchtlinge auf. Viele andere Länder weigern sich, zumeist aus Furcht vor Unmut in der Bevölkerung.
Der Grenzzaun hält die Flüchtlinge nicht ab
Trotz des am Samstag fertiggestellten Stacheldrahtzauns an der Grenze zu Serbien griff die ungarische Polizei tags darauf nach eigenen Angaben 2890 Flüchtlinge auf, die neu über die Grenze gekommen waren. Die 175 Kilometer lange Stacheldrahtsperre soll bis Ende Oktober um einen bis zu vier Meter hohen Maschendrahtzaun ergänzt werden.
Wegen österreichischer Verkehrskontrollen an der Grenze zu Ungarn bildeten sich am Montag an den Übergangspunkten kilometerlange Rückstaus. Nach dem jüngsten Flüchtlingsdrama in Österreich mit 71 Toten verstärkte neben der Alpenrepublik auch Bayern seine Fahndung nach Schleuserbanden und nahm in Grenznähe zum Nachbarland spezielle Kontrollen an den bayerischen Autobahnen auf. Allein in Österreich wurden seit Sonntag nach Polizeiangaben fünf mutmaßliche Schlepper und mehr als 200 Flüchtlinge aufgegriffen.
Illegale Einwanderung dürfe nicht mit dem Recht auf Asyl verwechselt werden, mahnte Frankreichs Premierminister Manuel Valls am Montag während eines Besuchs im nordfranzösischen Calais. Humanitäre Hilfe sei geboten, gegen Schleuser und illegale Einwanderer müsse aber entschlossen vorgegangen werden.
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