Interview

Ukrainischer Generalkonsul in München: "Unsere Soldaten sind jetzt unsere besten Diplomaten"

Der Generalkonsul der Ukraine in München überein Jahr Krieg, den Wunsch nach Kampfpanzern, die schwierige Lage seiner Landsleute in Bayern und Pässe, die bald mit der Post kommen sollen.
Natalie Kettinger
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Ukrainische Artillerie feuert während der Kämpfe um die Stadt Bachmut auf eine russische Stellung.
Ukrainische Artillerie feuert während der Kämpfe um die Stadt Bachmut auf eine russische Stellung. © AFP

AZ-Interview mit Yuriy Yarmilko: Der Diplomat (*1958) ist seit 2018 Generalkonsul der Ukraine in München. Von 2007 bis 2012 war er schon einmal in diesem Amt tätig. Weitere Stationen waren die Botschaft der Ukraine in Österreich sowie die Konsulate in Frankfurt und Hamburg.

AZ: Herr Yarmilko, der russische Angriffskrieg auf Ihr Heimatland dauert bald ein Jahr. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
YURIY YARMILKO: Es war das schwierigste Jahr überhaupt. Ich kann bis jetzt nicht begreifen, dass so etwas möglich ist. Am Anfang haben viele gehofft, dass alles schnell vorbei ist.

Yuriy Yarmilko
Yuriy Yarmilko © privat

Heute haben wir verstanden, dass es ein andauernder Krieg ist, den wir unbedingt gewinnen müssen. Es geht um die Existenz unseres Staates. Allerdings besteht auch Grund zu Optimismus: Unsere Soldaten haben gezeigt, dass man gegen die sogenannte zweitstärkste Armee der Welt erfolgreich kämpfen kann. Zudem hat der Westen endlich begriffen, wer der Aggressor und wer Opfer dieses Krieges ist. Dass die Unterstützung mittlerweile größer geworden ist, gibt uns Mut weiterzukämpfen.

"Ich kann das Zögern des Kanzlers gut verstehen"

Bundeskanzler Olaf Scholz hat lange abgewogen, bevor er der Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Ukraine zugestimmt hat. Zu lange?
Es ist wichtig, dass er zugestimmt hat. Ich kann all diese Überlegungen und Diskussionen darüber, dass Deutschland keine Waffen in Kriegsgebiete liefern wollte, gut nachvollziehen. Aber mittlerweile gibt es keine Alternative mehr. Alle sehen doch, was in der Ukraine passiert. Es klingt pathetisch, ist aber dennoch wahr: Wir kämpfen nicht nur für uns, sondern für Europa und die gesamte zivilisierte Welt. Wer steht denn noch an der Seite Russlands? Iran, Nordkorea und Weißrussland - Paria-Staaten. Deshalb hat sich unser Präsident sofort bei Olaf Scholz bedankt und wir warten nun, wie es läuft.

Und auf Kampfjets.
Das entspricht der Logik des Krieges. Vor einigen Monaten haben wir vor allem Flugabwehr-Systeme gebraucht, um die Städte besser zu schützen. Der Krieg spielt sich doch nicht nur auf dem Schlachtfeld ab, die Russen bombardieren Wohnblocks und Infrastruktur. Offiziell sind mehr als die Hälfte unserer Energie-Objekte zerstört oder beschädigt. Die Menschen sitzen bei Minusgraden, ohne Licht und Strom in ihren Wohnungen. Es ist einfach nur schrecklich. Aber dank der westlichen Lieferungen ist unsere Luftabwehr heute besser als früher. Jetzt ist das Hauptziel - so sagen es Präsident Wolodymyr Selenskyj und die Armeeführung -, alle besetzten Gebiete zu befreien. Dafür brauchen wir Panzer. Und ja: Auch Kampfjets und andere Waffensysteme wären gut. Wir müssen diesen Krieg gewinnen. Dazu gibt es keine Alternative.

"Wir koordinieren Anfragen und Hilfsangebote"

Wie können Sie als Generalkonsul in München die Menschen in der Ukraine unterstützen?
Ein Beispiel: Die Bayerische Staatsregierung hat beschlossen, Hilfsgüter im Wert von fünf Millionen Euro in die Ukraine zu schicken. Anfang Januar startete ein erster Transport mit 17 Generatoren von Nürnberg aus. Das bedeutet Strom für 17 Krankenhäuser oder Wohnblocks. Auch viele Vereine und Privatleute wollen helfen. Wir versuchen, die Anfragen aus der Ukraine und die Angebote von hier zusammenzubringen. Das funktioniert immer am besten, wenn ein direkter Kontakt zustande kommt, und das koordinieren wir.

 

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Auch viele Kommunen engagieren sich. Tut München als Partnerstadt von Kiew genug?
Ja! Vor dem Krieg habe ich diese Partnerschaft manchmal kritisiert und mir mehr Aktivität gewünscht. Aber jetzt läuft es super. In Kiew fahren Feuerwehrautos und Notarztwagen aus München. Generatoren, medizinische Geräte und vieles mehr von hier ist dort ebenfalls angekommen. Und es gibt weitere Beispiele für gute Partnerschaften: Nürnberg hilft Charkiv, Memmingen dem stark zerstörten Chernihiv und etliche andere mehr. Außerdem wollen viele bayerische Städte neue Partnerschaften mit der ukrainischen Seite knüpfen. Das war nicht immer so.

"Die Hälfte der Geflüchteten hat keine Papiere"

Ihr Konsulat ist für die Betreuung von ukrainischen Staatsbürgern in Bayern und Baden-Württemberg zuständig. Wie viele Geflüchtete leben mittlerweile in Süddeutschland?
Mehr als 300.000, davon etwa 35.000 in München.

Anfangs war eins der größten Probleme, dass viele ohne Pass hier angekommen sind. Ist das immer noch so?
Ja, fast die Hälfte hat keine Papiere. Ich bin nun fast 30 Jahre konsularisch tätig, aber zum ersten Mal mit Problemen konfrontiert, die ich selbst nicht lösen kann: Wir haben ausgerechnet, dass wir sieben Jahre brauchen würden, um alle diese Anträge auszustellen - selbst, wenn wir Tag und Nacht arbeiten würden. Hinzukommt, dass wir alles in die Ukraine schicken, wo die Pässe gedruckt werden. Aber dort gibt es ständig Stromausfälle, das erhöht die Wartezeiten. Und wie sollen die Dokumente wieder zu uns zurückkommen? Flugzeuge fliegen nicht, diplomatische Kuriere sind sehr selten geworden. Jetzt denkt die Führung in Kiew darüber nach, die Pässe auch per Post zu schicken, die funktioniert noch.

Hat sich die Situation der Geflüchteten hier seit Beginn des Krieges verändert?
Die Solidarität mit ihnen ist geblieben. Aber viele sitzen noch immer in Turnhallen oder Gemeinschaftsunterkünften, weil sie keine Wohnung finden, schon gar nicht in München. Ich habe das auch persönlich erfahren, als wir für die Schwester meiner Frau und ihre Familie eine Wohnung gesucht haben. Das hat fünf Monate gedauert. In München waren wir trotz all meiner Kontakte und all der Bemühungen meiner Frau erfolglos. Jetzt ist die Familie in Puchheim untergekommen, das passt.

Was beschäftigt die geflüchteten Menschen noch?
Viele hatten ursprünglich den Plan, so schnell wie möglich in die Ukraine zurückzukehren. Das können sie aber nicht. Sie besuchen Deutsch- und Integrationskurse - und dann? Nicht wenige überlegen jetzt, ob sie vielleicht in Deutschland bleiben. Das ist aber nicht einfach. Und es ist, diplomatisch gesagt, auch nicht gut für die Ukraine, wenn Fachkräfte, Lehrer, Ärzte und Künstler fortbleiben.

"Wie kann man russische Männer in Europa aufnehmen?"

Nicht nur Ukrainerinnen und Ukrainer fliehen nach Deutschland, sondern auch russische Deserteure. Gibt es da Schwierigkeiten?
Ich habe bislang von keinem einzigen Fall gehört. Vielleicht liegt das daran, dass wir bei jedem Gespräch mit Offiziellen darauf hinwirken, Ukrainer und Russen nicht zusammen unterzubringen. Aber ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wie man russische Männer in Europa überhaupt aufnehmen kann.

Warum nicht? Ist es denn nicht besser, vor dem Kriegsdienst zu fliehen als zu töten?
Diese Männer sollten zu Hause protestieren anstatt hier in Ruhe das Leben zu genießen.

In Russland wurden Tausende inhaftiert, die gegen den Krieg demonstriert haben.
Würden Millionen auf die Straße gehen, würde nichts passieren.

"Man muss gegen so einen blutigen Aggressor kämpfen"

Zurück ins Frühjahr 2022: Von 18. bis 20. Februar fand damals die Münchner Sicherheitskonferenz statt. Haben die Teilnehmer eigentlich damit gerechnet, dass Russland vier Tage später in die Ukraine einmarschiert?
Es war natürlich allen bewusst, dass die russischen Truppen an der Grenze stehen und etwas geschehen könnte. Aber man hat dabei am ehesten an eine Ausweitung der Angriffe im Donbass oder vergleichbare Provokationen gedacht, nicht daran, dass russische Truppen nach Kiew vorrücken und die ganze Ukraine unter Raketenbeschuss steht.

Vom 17. bis 19 Februar ist wieder Sicherheitskonferenz. Was erhoffen Sie sich diesmal?
Dass wir im Mittelpunkt bleiben, alle auf unserer Seite sind und dass die Konferenz noch einmal zeigt, dass sich die Welt geändert hat und man gegen einen solch blutigen Aggressor zusammen kämpfen muss.

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Finden Sie es korrekt, dass keine offizielle russische Delegation eingeladen ist?
Das ist ein gutes und richtiges Zeichen. Russische Oppositionelle sind ja eingeladen.

Was glauben Sie: Wie wird dieser Krieg enden?
Jeder Krieg endet durch Diplomatie. Das wird auch bei diesem der Fall sein - wenn es zur russischen Kapitulation kommt. Aktuell ist eine diplomatische Lösung für mich noch nicht in Sicht. Unsere Feinde sagen zwar, sie seien zu Verhandlungen bereit, wenn alles bleibt, wie es ist. Aber das hieße, dass wir 20 Prozent unseres Territoriums verlieren. Die Voraussetzungen für Gespräche sind erst erfüllt, wenn die Russen alle besetzten Gebiete verlassen haben, einschließlich der Krim. Dann kann die Diplomatie wieder ins Spiel kommen. Im Moment sind unsere besten Diplomaten unsere Soldaten.

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