Türkei: Tausende Festnahmen und Entlassungen
Istanbul - In der Türkei kommt es nach dem gescheiterten Putschversuch zu massiven Eingriffen in Militär und Justiz. Der Staatsapparat begann umgehend mit der von Präsident Recep Tayyip Erdogan angekündigten "Säuberung".
Der Sender CNN Türk meldete am Abend, der Verfassungsrichter Alparslan Altan sei festgenommen worden; aus Regierungskreisen verlautete, auch sein Kollege Erdal Tezcan sei in Gewahrsam genommen worden - wie zuvor schon zehn Mitglieder des türkischen Staatsrats und fünf Mitglieder des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte.
Ein Fünftel der Richter abgesetzt
Insgesamt 2700 Richter wurden bereits abgesetzt - fast ein Fünftel der schätzungsweise rund 15 000 Richter in der Türkei. Der Chef der Richtergewerkschaft Yargiclar, Mustafa Karadag, sagte der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul, nicht nur mutmaßliche Unterstützer des Putsches, sondern auch völlig unbeteiligte Kritiker Erdogans würden festgenommen.
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Offiziellen Angaben zufolge wurden in einer ersten Aktion auch mehr als 2800 Putschisten aus den Reihen der Streitkräfte festgenommen. Fünf Generäle und 29 Oberste sollen Regierungskreisen zufolge ihrer Posten enthoben worden sein.
"Wachen für die Demokratie"
In mehreren Städten in der Türkei hielten Zehntausende Menschen in der Nacht zum Sonntag "Wachen für die Demokratie" ab. Türkische Medien berichten von Siegesfeiern nach dem gescheiterten Putschversuch in Städten vom Westen bis zum Südosten des Landes. Bilder zeigen jubelnde und fahnenschwenkende Menschenmassen etwa in der Hauptstadt Ankara. Die Nachrichtenagentur Dogan (DHA) sprach von etwa 75 000 Teilnehmern in der Stadt Adapazari im Nordwesten der Türkei.
Bei dem versuchten Umsturz wurden nach offiziellen Angaben in der Nacht mindestens 265 Menschen (161 regierungstreue Sicherheitskräfte oder Zivilisten und 104 Putschisten) getötet und mehr als 1000 verletzt.
Die Putschisten wollten nach eigenen Angaben Demokratie und Menschenrechte und die verfassungsmäßige Ordnung wiederherstellen. Acht türkische Soldaten setzten sich mit einem Militärhubschrauber nach Griechenland ab und beantragten politisches Asyl. Sie sollten möglicherweise ausgeliefert werden.
Erdogan: Wiedereinführung der Todesstrafe?
Erdogan kündigte eine "vollständige Säuberung" des Militärs an. Er bezeichnete den Freitagnacht gestarteten Putschversuch dafür als einen "Segen Gottes".
Über die Einführung der Todesstrafe könne im Parlament gesprochen werden, sagte Erdogan vor Anhängern. "Es ist auch nicht nötig, sich dafür von irgendwoher eine Erlaubnis einzuholen." Für den Grünen-Politiker Omnid Nouripour ist das "beängstigend", wie er der "Huffington Post Deutschland" sagte. Die Bundesregierung müsse klare Worte gegenüber Erdogan finden. Baue Erdogan ein "noch autoritäreres System auf, dann würde das die deutsch-türkischen Beziehungen belasten, warnte Nouripour.
Drahtzieher soll ein Erzfeind sein
Erdogan machte die Bewegung des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich und kündigte Vergeltung an: "Sie werden einen sehr hohen Preis für diesen Verrat zahlen." Gülen, nach einem schweren Zerwürfnis 2013 einer von Erdogans Erzfeinden, lebt in den USA und bestritt die Vorwürfe. Er verurteilte die Aktionen in einer Mitteilung scharf.
Erdogan verlangte von den USA die Auslieferung oder Festnahme von Gülen. Wenn die USA und die Türkei tatsächlich strategische Partner seien, müsse Obama handeln. Die USA würden Außenminister John Kerry zufolge einen türkischen Antrag auf Auslieferung Gülens prüfen.
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Kerry wies in einem Telefonat mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu Behauptungen über eine Verwicklung der USA in den gescheiterten Putschversuch energisch zurück. Diese seien "völlig falsch und schädlich für unsere bilateralen Beziehungen", hieß es in einer Erklärung des US-Außenministeriums.