Trussisches Roulette: Heftige Kritik an Großbritanniens Premierministerin Liz Truss
Über dem Konterfei von Liz Truss steht: "Vermisst. Haben Sie diese Premierministerin gesehen?". So titelte die britische Tageszeitung "The Independent" gestern und zeigte damit auf, was viele Menschen in Großbritannien in den vergangenen Tagen fassungslos machte. "Die Märkte sind in Aufruhr, die ,Bank of England' musste einschreiten, um eine Bankenkrise zu verhindern. Aber von Liz Truss fehlt noch immer jede Spur." Die angekündigte größte Steuerreform seit 50 Jahren sei ein "Trussisches Roulette", lästert so mancher in London.
Liz Truss: Die Regierung trägt keine Schuld an der Wirtschaftskrise
Gestern äußerte Truss sich dann doch in mehreren Radiostationen und gab in "vorformulierten Sätzen", wie Hörer kritisierten, die immer gleichen Antworten: Nicht die Regierung sei schuld an der aktuellen Wirtschaftskrise, sondern die Weltlage und: "Wir ändern unseren Kurs nicht." Viele Experten sind sich jedoch einig, dass die Premierministerin diese Entscheidung politisch nicht überleben wird.
Tatsächlich ist Großbritannien mit dem durch die neue Regierung angekündigten Mini-Budget laut Experten nur knapp einem "Lehmann-Moment" entgangen, einer Krise also, die dem Zusammenbruch der Finanzmärkte im Jahr 2008 gleichkommt. Um den Markt zu stabilisieren, musste die Notenbank in einem außergewöhnlichen Schritt am Mittwoch einspringen. Sie verkündete den Kauf von Staatspapieren mit langer Laufzeit - ohne Obergrenze. Dadurch sicherte sie deren Wert und rettete damit die Pensionskassen, die unter anderem durch den Werteverlust von Staatsanleihen die Auszahlung von Renten nicht mehr garantieren konnten.
Wie sollen die Schulden finanziert werden?
Ausgangspunkt der Krise war der am vergangenen Freitag vorgestellte Plan von Finanzminister Kwasi Kwarteng, der Schätzungen zufolge bis zu 200 Milliarden Pfund (umgerechnet 223 Milliarden Euro) kosten wird. Demnach soll die Einkommensteuer für Geringverdienende um einen Prozentpunkt und für Menschen mit hohen Einkommen um fünf Punkte gekürzt werden. Außerdem will Kwarteng eine Erhöhung der Sozialversicherung und einen Anstieg der Körperschaftsteuer zurücknehmen. Finanziert werden soll das Ganze durch Schulden.
"Sein Fehler war, dass er nicht erklärt hat, wie er diese Schulden finanzieren will", sagte Richard Murphy, Wirtschaftsexperte an der Sheffield University Management School, der AZ. Es ging die Angst um, dass der Leitzins in Zeiten der galoppierenden Inflation immer weiter steigen könnte.
Labour: "Kabinett der Untalentierten"
"Die Anleger gerieten in Panik." Banken zogen Kreditangebote mit Zinsbindung zurück. Der Pfund-Kurs rutschte auf ein Rekordtief im Vergleich zum US-Dollar ab, Importe werden teurer, Immobilienkredite platzen.
Labour spricht bereits von einem "Kabinett der Untalentierten"
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die schuldenfinanzierten Steuersenkungen am Dienstagabend gerügt. Auch das ein beispielloser Schritt. London sollte die Pläne "noch einmal überdenken", besonders diejenigen für hohe Einkommensbezieher. Wegen des erhöhten Inflationsdrucks seien große, nicht zielgerichtete Finanzpakete nicht zu empfehlen, so der IWF.
Truss erntet nur Spott und Kritik
Die oppositionelle Labour-Partei reagierte mit Spott auf diese Entwicklung: Die Regierung sei ein "Kabinett der Untalentierten", sagte Vize-Chefin Angela Rayner. Kritik ist innerhalb der konservativen Partei vorhanden, wird aber selten öffentlich vorgebracht. Der Tory-Abgeordnete Julian Smith machte seinem Entsetzen Luft: "Arghhhhhhhhhhhhhhhhh", twitterte er.
Der Steuersenkungsplan, den Truss und Kwarteng so vehement verteidigen, beruht auf der These, dass ein möglichst freier Markt und ein geringer Eingriff des Staates zu mehr Wachstum führen. "Er wird von einer ganzen Reihe von rechtskonservativen Denkfabriken in Großbritannien unterstützt", sagte Murphy. Nun sei zum ersten Mal eine Regierung an der Macht, die diese Ideologie vertritt. Wissenschaftliche Studien, die belegen, dass das Ganze funktionieren wird, gebe es allerdings keine. Murphy bezeichnete die Pläne als "ökonomischen Schwachsinn".
"Das überlebt kein Premierminister"
Die Reaktion der Märkte zeige, dass sie nicht an diese Ideologie glauben. Schließlich sind die Folgen fatal. "Durch die Maßnahmen werden die Hypothekenzinsen von aktuell rund zwei auf bis zu sieben Prozent steigen", prognostizierte er. Das bedeutete monatliche Mehrausgaben für Haushalte von bis zu 700 Pfund (780 Euro) pro Monat.
"Aus meiner Sicht werden die Leute auf die Straße gehen. Das überlebt kein Premierminister. Ich denke, dass sie maximal noch bis Weihnachten im Amt bleibt."