Interview

"Stress kommt später": Österreichischer Kameramann über seinen Einsatz in der Ukraine

Der Österreicher Daniel Andrei (37) filmte früher Trachtenumzüge und Alpenvereine. Heute ist er Berichterstatter im Ukraine-Krieg. Mit der AZ spricht er über Todesangst auf dem Minenfeld und mediale Scheinheiligkeit.
Johanna Schmeller |
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Kameramann Daniel Andrei.
Kameramann Daniel Andrei. © Lukas Hoffmann

AZ: Herr Andrei, als Kameramann sind Sie immer dort, wo es brenzlig wird. Wo erreiche ich Sie?
Daniel Andrei: Momentan sind wir in Kiew mit zwei Teams. Die Kollegen sind gerade aus Odessa gekommen, wir brechen auf in Richtung Osten.

Vor wenigen Monaten sah Ihr Leben noch anders aus.
Früher habe ich bei einem Regionalsender in Voralberg gearbeitet. Mit Mitte 30 habe ich zu einer Produktionsfirma des ORF gewechselt, habe da auch Feuerwehrfeste, Faschingsumzüge, Restaurants, Lokalpolitik gedreht. Irgendwann war ich auf allen Weihnachtsmärkten gewesen und kannte alle Spätzlerestaurants. Da wollte ich etwas Neues. Der Vibe von Berlin hat mir nie gefallen, München hätte mich gereizt, L.A. oder Südafrika. Ich habe bei einer Produktionsfirma in Stuttgart angefangen und nach zwei Monaten haben sie mich gefragt, ob ich in Krisengebiete fliegen würde.

Interview am gefährlichen Ort: Kameramann Daniel Andrei begleitet die Frühjahrsoffensive in der Ukraine journalistisch.
Interview am gefährlichen Ort: Kameramann Daniel Andrei begleitet die Frühjahrsoffensive in der Ukraine journalistisch. © Daniel Andrei

Der Tag vor der Abreise

Können Sie sich an den Tag vor Ihrer Abfahrt erinnern?
Ich habe gepackt und mich mental vorbereitet, dass es krass wird. Dann habe ich mit meiner Schwester telefoniert, war mit Kollegen in einer Bar. Meinen Eltern habe ich nur erzählt, dass ich ein Auslandsprojekt habe. Nachgedacht, ob ich draufgehen könnte, habe ich nicht. Da war eher die Freude, dass es losgeht, ich herausfinden kann, ob ich der Typ dafür bin – oder beim ersten Knall Panik kriege.

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Und? Sind Sie der Typ?
Anfangs war ich vor allem von den Bars und der guten Küche fasziniert, Kiewer Teigtaschen statt Spätzle. In einer der ersten Nächte hat mich meine Warnapp um vier geweckt. Ich bin liegengeblieben. Minuten später hörte ich eine Detonation, tausend Mal lauter als ein Feuerwerk. Ein Sicherheitsberater hat uns in einen Bunker gebracht. Sieben Kilometer entfernt hatte eine Rakete im Wohngebiet eingeschlagen. Kollegen einer Nachrichtenagentur sind losgesprintet. Morgens sind wir hingefahren. Die Autos haben noch geraucht.

Unterwegs mit einem Minensuchtrupp

Welche Bilder begleiten Sie noch?
Wir waren mit einem Minensuchtrupp unterwegs, sind Meter für Meter Felder abgegangen, angespannt und im Wissen: Der Typ vor dir findet nicht jede Mine, dich kann's zerlegen. Einmal haben wir über Leichensucher berichtet. Die sammeln russische Leichen ein und tauschen sie gegen ukrainische, damit beide Seiten ihre Toten bestatten können. Während wir die drei Soldaten gesucht haben, mit denen wir drehen sollten, standen wir auf einem wohl verminten Feld zwischen ausgebrannten Fahrzeugen, haben durchschossene Westen gefunden. Das hätte auch schiefgehen können.

In der Ukraine begegnet der Kameramann reichlich Zerstörung.
In der Ukraine begegnet der Kameramann reichlich Zerstörung. © Daniel Andrei

Welche Geschichte ging Ihnen am nächsten?
Wir haben mit verschleppten Kindern gedreht. Einige wurden einfach mitgenommen, manche Eltern haben Angebote bekommen, ihre Kinder gratis in Feriencamps zu schicken. Niemand hatte ihnen gesagt, dass sie sie persönlich abholen müssen. Die Grenze ist aber ja zu, da verläuft die Front. Sie müssen über Belarus reisen, das dauert wochenlang, ist extrem teuer. Ein Mädchen hat geweint, weil sie heimwollte. Die Kinder wissen nicht, ob sie ihre Eltern bald oder nie mehr sehen.

"Vor Ort muss man funktionieren"

Bricht da der Reporterethos, möchte man eingreifen?
Wer jedes Mal emotional einsteigt, ist dort falsch. Die eine hat ihr Kind, der nächste das Bein, der Dritte seinen Bruder verloren. Ja, dramatisch – aber wir sind Berichterstatter. Man kann nur mit der Zeit einsickern lassen, was passiert ist. Vor Ort muss man funktionieren. Der posttraumatische Stress und psychische Probleme kommen später.

Unterwegs in der Ukraine.
Unterwegs in der Ukraine. © Daniel Andrei

Haben Sie mögliche psychische Probleme bei der Jobwahl eingepreist?
Man kann sich ja helfen lassen. Aber ich glaube auch, dass Leute, die täglich an der Front drehen, eher betroffen sind. Ich habe keine Menschen sterben sehen. Leute erzählen uns die ärgsten Stories. Du denkst: "Arm dran!" und bist direkt an der nächsten Geschichte. Man muss damit umgehen lernen und hat kaum Zeit, sich emphatisch einzulassen. Eine Dame hat uns erzählt, dass sie vor drei Tagen auf eine Mine getreten ist. Natürlich denke ich, wie schnell sich ihr Leben gedreht hat, wenn ich eine frische Amputationswunde filme. Soll ich Euch Fotos schicken?

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Nein. Würden wir nicht zeigen.
Dann nicht, aber das war dramatisch. Das TV hat auch nur den verbundenen Stumpf gezeigt. Irgendwie scheinheilig. Wir sprechen davon, was Minen anrichten – und zeigen einen Verband?

Welche Bilder kann man zeigen?

Muss man die Bilder Ihrer Meinung nach denn zeigen? Sind das die Bilder, die den Krieg erzählen?
Wir haben mit dem Sender zum Jahrestag von Butscha dieselbe Debatte geführt. Der wollte die Hälfte der Bilder verpixelt haben. Finde ich schwierig. Es geht um Massenmord, und die Bilder sehen aus, als wäre kaum was passiert.

Wie hat sich Ihr Blick auf das Leben im Westen verändert?
Ich war seither nicht in Deutschland oder Österreich. Meine Eltern wissen jetzt, wo ich bin, bekommen aber nur nette Fotos vom Essen und aus dem Gym, ja nix Arges. Ich habe kleine Souvenirs für sie gekauft. Aber da sage ich jetzt nicht, was, sonst ist es keine Überraschung!

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1 Kommentar
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  • Der wahre tscharlie am 28.04.2023 16:45 Uhr / Bewertung:

    Ganz ehrlich gesagt, Das wäre nicht mein Job. Mir reichen schon die Videos der Getöteten, ohne jetzt eine detailierte Beschreibung zu liefern, die im Netz zu sehen sind. Grausamst.

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