Streit über die Euro-Rettung: Merkel demonstriert Geschlossenheit
BRÜSSEL - Beim EU-Gipfel ringen die Staatschefs um einen neuen Krisenmechanismus, wie verschuldeten Staaten geholfen werden kann. Die Kanzlerin setzt vor dem Treffen auf Geschlossenheits-Appelle.
Es regnete und stürmte, als Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag in Brüssel landete. Unter einen Regenschirm geduckt hetzte Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Treffen der europäischen Regierungschefs. Ähnlich stürmisch und finster sieht es derzeit für den Euro aus. Nicht weniger als dessen Rettung hatten sich die EU-Regierungschefs beim gestrigen Gipfeltreffen aufgegeben – auch wenn das so offen natürlich niemand sagen wollte. Doch die Lage ist dramatisch.
Dazu passte die Eilmeldung, die kurz vor Beginn des Gipfels die Finanzexperten aufschreckte: Die Europäische Zentralbank wird ihr Grundkapital nahezu verdoppeln – von derzeit 5,8 auf 10,8 Milliarden Euro. Begründung: An den Finanzmärkten kommt es zu immer stärkeren Schwankungen. Außerdem ist das Kreditausfallrisiko deutlich gestiegen, nachdem die EZB in den vergangenen Tagen Staatsanleihen klammer Euroländer gekauft hat. Spekuliert wurde über diese Kapitalerhöhung schon länger – aber erst für die Zeit nach dem Gipfel.
Alle schauten deshalb gestern gespannt nach Brüssel: Wird es den 27 Staats- und Regierungsschefs gelingen, einen Weg aus der Eurokrise zu finden und die Finanzmärkte zu beruhigen? Bei Redaktionsschluss hatte der Gipfel noch nicht begonnen, erwartet wurde aber, dass bis tief in die Nacht über die Einzelheiten gestritten wird.
Umstrittene Euro-Bonds: hochemotionale Disskussionen
Einigen musste sich der Gipfel nur auf zwei Textzeilen im Lissabon-Vertrag: Darin soll ein neuer, dauerhafter Krisenmechanismus verankert werden, der es auch nach Auslaufen des 750-Milliarden-Euro Rettungsschirms ermöglicht, dass sich Staaten gegenseitig mit Krediten helfen. Und der außerdem private Geldgeber bei Rettungsaktionen mit einbezieht.
Nicht auf der offiziellen Tagesordnung standen die umstrittenen Euro-Bonds (gemeinsame europäische Staatsanleihen) und eine Aufstockung des bereits bestehenden, 750 Milliarden Euro schweren Rettungsschirms, den viele Länder für nicht ausreichend halten.
Beide Themen wurden aber in den letzten Tagen hochemotional diskutiert. Deshalb war es gestern Abend durchaus möglich, dass das Thema doch noch auf die Agenda drängt. Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker warf Merkel wegen ihres Neins zu beiden Punkten sogar vor, arrogant und uneuropäisch zu handeln.
Merkel selbst bemühte sich nach dem Junckers-Streit gestern um verbale Abrüstung: „Wir haben ausführlich telefoniert. Wo es um so viel geht, spielen eben auch Emotionen mal eine Rolle“, sagte Merkel. Auch Junckers gab sich versöhnlich: „Ich wollte niemanden provozieren, nur eine Debatte anregen“, sagte er.
Und Merkel brachte sogar eine stärkere wirtschaftspolitische Zusammenarbeit ins Spiel: „Wir brauchen mehr Harmonie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, eine Art Wirtschaftsregierung in Europa“, sagte sie. Bisher hatten Berlin und Paris eine europäische Wirtschaftsregierung stets abgelehnt.
Die Kanzlerin appellierte an ihre Kollegen, beim Gipfel Einigkeit zu zeigen: „Es würde schon helfen, wenn alle 27 EU-Mitgliedsländer geschlossen aufträten. Wenn alle zeigen: Der Euro steht für keinen von uns infrage. Spekulanten haben keine Chance.“ Fragt sich nur, ob sich die Finanzmärkte von solchen Geschlossenheitsappellen noch beeindrucken lassen.
zo