Startschuss für Brexit-Verhandlungen: "Wir sind bereit!"
Die Europäische Union macht sich startklar für die Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien. Gestern erteilten die 27 bleibenden EU-Staaten ihrem Chefunterhändler Michel Barnier offiziell das Mandat. Nicht nur er wird langsam ungeduldig. "Wir sind bereit. Wir wollen so schnell wie möglich beginnen", sagt Barnier.
Die Uhr tickt für die äußerst komplizierte Scheidung. Ganz schmerzfrei wird sie nicht.
Warum beginnen die Verhandlungen erst so spät? Schon im vergangenen Juni entschied sich eine Mehrheit der Briten für den EU-Austritt. Aber vorbereitet war die Regierung nicht. Erst Ende März stellte Premierministerin Theresa May offiziell den Antrag und begann damit die zweijährige Verhandlungsfrist.
Bis März 2019 soll ein Austrittsabkommen stehen. Die EU will die Verhandlungen in der Woche ab dem 19. Juni beginnen – fast pünktlich zum ersten Jahrestag des Brexit-Votums vom 23. Juni 2016.
Folgt nun ein Rosenkrieg oder eine treuliche Trennung? Beide Seiten beteuern offiziell ihr Interesse an einer gütlichen Trennung, um Wirtschaft und Bürgern wenig zu schaden. Doch es sei allzuleicht, das Verfahren nach Artikel 50 der EU-Verträge zu versemmeln, meint der ehemalige britische Europaabgeordnete Andrew Duff.
Der Ton ist giftig, seit in Brüssel vertrauliche Informationen aus einem Dinner von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei May gestreut wurden. Die Regierungschefin wurde als unnachgiebig dargestellt – May reagierte äußerst gereizt. Öffentlich betont sie, sie wolle lieber keine Einigung mit der EU als eine schlechte.
Wer übernimmt die gemeinsame Hypothek? In Barniers Verhandlungsmandat schreibt die EU drei Kernforderungen fest, die zuerst geklärt werden sollen. Besonders schwierig: die Schlussrechnung für das Vereinigte Königreich. Die EU verlangt den britischen Anteil für Finanzentscheidungen, die man gemeinsam getroffen hat. Inoffizielle Berechnungen gehen von 100 Milliarden Euro oder mehr aus. Die britische Regierung hält das für absurd.
Was wird mit den EU-Bürgern auf der Insel und den Briten in der EU? Die beiden anderen Kernpunkte: Die EU will Garantien vereinbaren, dass die 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und die 1,2 Millionen Briten in der EU weiter so leben können wie bisher, ohne um Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis oder um ihre Rente fürchten zu müssen.
Und sie will eine neue befestigte Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland vermeiden. Sonst wäre der fragile Friede zwischen Katholiken und Protestanten in Gefahr.
Also alles offen bis zum Schluss? Erst wenn die EU in diesen drei Hauptfragen Zugeständnisse bekommt, will sie über einen künftigen Handelspakt reden. Großbritannien will eine Paketlösung. Das Noch-Mitglied hat Druckmittel, es kann in der EU Nadelstiche setzen.
Was erwartet Deutschland? Auf jeden Fall schwierige Verhandlungen. Beide Seiten könnten nur verlieren, sagte gestern Europa-Staatsminister Michael Roth. "Es ist eine Lose-Lose-Situation." Niemand wolle Großbritannien für die Trennung von der EU bestrafen.
Wie blickt die deutsche Industrie auf den baldigen Beginn der Verhandlungen? Bei den Betrieben herrscht Nervosität. "Sie klagen bereits über die große Unsicherheit", sagt Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Aus Unternehmen sei zu hören, dass es schon jetzt schwierig sei, Mitarbeiter ins Vereinigte Königreich zu schicken. Dies gelte besonders, wenn das Ende der Entsendung jenseits des geplanten Brexit-Datums am 29. März 2019 liege.
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