Sozialisten fürchten Mehrheitsverlust
Begleitet von Sorgen vor einer Gewaltwelle wählt Venezuela heute ein neues Parlament. Erstmals seit 16 Jahren müssen die Sozialisten laut Umfragen den Verlust der Mehrheit fürchten. Die Wahl wird auch als Votum über den Kurs von Staatspräsident Nicolás Maduro angesehen.
Caracas - Bei der Parlamentswahl werden alle 167 Abgeordneten der Nationalversammlung neu gewählt, die konstituierende Sitzung ist für den 5. Januar 2016 geplant.
Im Wahlkampf war der Oppositionspolitiker Luis Manuel Díaz erschossen worden - die Regierung weist jede Mitverantwortung zurück. Beobachter halten je nach Ausgang neue Demonstrationen und Gewalt nicht für ausgeschlossen.
Bis zu 200 Prozent Inflation, Mangelwirtschaft und fehlende Lebensmittel haben die Unzufriedenheit deutlich erhöht. Das Land mit den größten Ölreserven leidet zudem seit Monaten unter dem niedrigen Ölpreis, was es immer schwerer macht, die Sozialprogramme zu finanzieren.
Die Wahllokale sind von 11.30 bis 23.30 Uhr MEZ geöffnet, mit ersten Ergebnissen wird erst am Montagmorgen gerechnet. Die Bürger geben ihre Stimme an den rund 40 000 Wahlautomaten ab.
Gewinnt die im Bündnis "Tisch der demokratischen Einheit" (Mesa de Unidad Democrática) vereinte Opposition, müsste Maduro Kompromisse eingehen. Er warnt vor einem Ende der Sozialprogramme für ärmere Schichten. Das Land müsse entscheiden, ob es den Weg weiter gehen wolle "oder ob wir in den Abgrund gehen", sagte er zum Abschluss des Wahlkampfes.
Wahlbeobachter sind nicht zugelassen, es wird aber eine Wahlbegleitung geben, unter anderem durch die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR), auch der Linken-Bundestagsabgeordnete André Hahn wird die Wahl begleiten.
Wahlberechtigt sind 19,5 Millionen Menschen. Das Wahlsystem könnte der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) zugute kommen, die in ländlichen Regionen traditionell stark ist: Bei der Vergabe von Direktmandaten werden gering besiedelte Gebiete wie die Amazonasregion im Verhältnis besser gestellt als Großstädte. Die Lage ist seit Wochen angespannt, die Regierung hat Sorgen vor einem Staatsstreich bei einer Niederlage der PSUV energisch zurückgewiesen. Die sogenannte bolivarische Revolution war von dem 2013 verstorbenen Hugo Chávez eingeleitet worden.
"Dies ist zwar nicht eine Präsidentschaftswahl (..), sie wird aber als eine Volksabstimmung über die von Präsident Nicolás Maduro geführte Regierung angesehen", bilanziert die International Crisis Group. Benjamin Reichenbach, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Caracas, betont: "Die Opposition misst den Parlamentswahlen eine historische Bedeutung zu."
Nach ihrer Lesart könnte ein Erfolg den Anfang einer neuen Ära einleiten, die 2016 mit einem Referendum über die Abwahl von Präsident Maduro zur Regierungsübernahme nach Neuwahlen führen würde." Eine Niederlage drohe dagegen die Gräben zwischen dem radikaleren Flügel um den inhaftierten Leopoldo López und dem moderateren Flügel um Ex-Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles wieder aufzureißen, so Reichenbach. López war wegen gewalttätiger Ausschreitungen nach Demonstrationen, zu denen er aufgerufen hatte, zu fast 14 Jahren Haft verurteilt worden.
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