Soldaten-Dasein: „Freiwilligkeit gibt es nicht“

Nach dem öffentlich gewordenen Skandal bei den Gebirgsjägern in Mittenwald spricht ein Psychologe über Gruppenzwang, Rituale und Demütigungen bei der Bundeswehr.
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Bundeswehrsoldaten
dpa Bundeswehrsoldaten

Nach dem öffentlich gewordenen Skandal bei den Gebirgsjägern in Mittenwald spricht ein Psychologe über Gruppenzwang, Rituale und Demütigungen bei der Bundeswehr.

AZ: Die Vorfälle in Mittenwald – ist das normal bei der Bundeswehr?

THOMAS KLICHE: Die Bundeswehr ist im internationalen Vergleich sehr harmlos und ich denke, dass der Vorfall in seiner Intensität eine Ausnahme ist. Aber generell ist beim Militär die Gefahr solcher Auswüchse groß.

Warum?

Militär hat immer eine Sondermoral. Es werden Menschen ausgebildet, um jemanden zu bedrohen, zu verletzen oder zu töten – alles Dinge, die im zivilen Leben nicht erlaubt sind. Das Militär bildet eigene Regeln: Für die Kleidung, das Grüßen, für das, was wichtig ist und was nicht. Wenn eine Gruppe, wie es bei den Hochgebirgsjägern sicher der Fall ist, ein besonderes Elitedenken hat, dann begünstigt das noch, dass dort eigene Normen entwickelt werden.

Was passiert mit jungen Menschen bei der Bundeswehr?

Ein junger Rekrut hat noch keine feste Persönlichkeit. Das Militär setzt darauf, diese Persönlichkeit zu zerstören und neu auszurichten: Sich ganz der Gruppe zu unterwerfen. Für die Rekruten werden Kameraden dann oft so etwas wie eine Ersatzfamilie.

Welche Rolle spielen Rituale?

Eine große. Die Menschen beim Militär sind aufeinander angewiesen, bis dahin, dass das Leben in den Händen des Kameraden liegt. Zusammengehörigkeit ist sehr wichtig. Solche Rituale bestärken sie. Alle sind Komplizen – die Täter und die, die Peinigungen aushalten. Denn sie steigen dann auf und sind später auch berechtigt, Täter zu sein. Illegalität schweißt die Gruppe besonders zusammen.

Wie freiwillig machen Opfer da mit?

Da gibt es keine Freiwilligkeit mehr. Die Gefahr, wenn man sich verweigert, ist zu groß. Die Vorfälle in Mittenwald sind ja mindestens schwere Körperverletzung. Die Gruppe hat also gute Gründe, sehr hart gegen Verräter vorzugehen. Gemeldet wurde es ja auch von einem, der bereits ausgeschieden ist.

Ist Angst der einzige Grund, dass die Opfer dichthalten?

Dazu kommt Scham. Denn so etwas empfänden viele als Schwäche. Und bei den Ritualen geht es immer um Härte. Und Männlichkeit. Das Militär ist eines der letzten vollkommen männlichen Kulturen – männlich im antiquierten Sinne.

Wer ist besonders anfällig für solche Rituale?

Autoritäre Persönlichkeiten, Menschen, die sehr beeindruckt sind von Macht und Stärke und versuchen, sich das auch anzueignen. Radfahrertypen, die sich nach Vorgesetzten richten. Die Schwierigkeit für die Armee – und übrigens auch für die Polizei – ist, dass es Organisationen sind, die nach Befehl und Gehorsam funktionieren und gerade die sind für solche Persönlichkeiten attraktiv.

Muss das Militär nicht nach Befehl und Gehorsam funktionieren?

Es gibt immer mehr Kampfaufträge, wo reiner Gehorsam nicht hilfreich ist. Beim Bombenangriff in Kundus wäre es hilfreicher gewesen, auf den Untergebenen zu hören, als auf den Chef. Heute sind auch immer mehr kleine Teams unterwegs, die dann auf sich alleine gestellt sind. Da sind dann zwangsläufig eigene Entscheidungen gefragt.

Was könnte man ändern? Die Ausbildung?

Man müsste in der Ausbildung mehr Wert auf Individualität setzen, Vorgesetzte sollten mehr mit Überzeugungskraft vorangehen. Wir brauchen mehr politische Bildung und man sollte mehr darauf achten, dass Menschen mit demokratischen Überzeugungen ausgewählt werden. Einfache Mittel wären zum Beispiel Ombudsleute, damit Opfer unabhängige Ansprechpartner haben.

Interview: Tina Angerer

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