Skandal um die Gorch Fock : „Das ist zu gefährlich“

Ehemalige Kadetten auf der Gorch Fock fordern ein Ende der Ausbildung auf dem Schulschiff. Sie kritisieren „erbärmliches, unehrenhaftes und unseemännisches Verhalten“ der Schiffsführung.
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Matrosen an Bord der "Gorch Fock"
dpa Matrosen an Bord der "Gorch Fock"

Ehemalige Kadetten auf der Gorch Fock fordern ein Ende der Ausbildung auf dem Schulschiff. Sie kritisieren „erbärmliches, unehrenhaftes und unseemännisches Verhalten“ der Schiffsführung.

MÜNCHEN Der Skandal um die Gorch Fock beschäftigt die Politik – und ehemalige Matrosen. Seit Jahren, das kommt jetzt heraus, herrschen auf dem Segelschulschiff der Marine haarsträubende Zustände. Nach dem Tod der Kadettin Sarah S. und der Ablösung des Kommandanten trauen sich nur wenige Ehemalige, das auch auszusprechen.

„Das Verhalten der verantwortlichen Vorgesetzten der verunglückten Kadettin ist unehrenhaft, erbärmlich, unseemännisch und unsoldatisch!“, schreibt der Berliner Rechtsanwalt Gerrit Mulert in das Gästebuch der Gorch-Fock-Homepage. „Sie sollten sich schämen“, schreibt der Mann, der 1997 selbst an Bord des Schiffes war: „Ein Seemann unterstützt seine Kameraden und hilft ihnen, wenn sie nicht mehr können, anstatt sie sehenden Auges in den Tod klettern zu lassen.“ Sarah S. stürzte in den Tod, nachdem sie siebenmal aufentern musste.

„Viele Kadetten haben Angst davor, in die Takelage zu klettern“, erinnert sich ein anderer Ex-Kadett. „Nur die wenigsten trauen sich, dagegen zu halten und ihre Angst zuzugeben.“ Woher die Angst kommt, erzählt ein Ex-Offiziersanwärter, der seinen Namen nicht nennen will: „Man steht in 25 bis 40 Metern Höhe auf einem Stahlseil und hält sich an einem Stahlträger fest. Und das nicht nur im Hafen, sondern auch bei 35 Grad Celsius oder bei mehreren Metern Seegang.“ Würde man das an Land machen, würde jeder sagen: ,Der spinnt doch’“, meint der Ex-Soldat. Wie bringt man die Soldaten trotzdem dazu, immer wieder auf die Wanten und die Rahen zu klettern? „Bei uns hieß es immer: ,Sie brauchen keine Angst zu haben. Ihr Überlebenstrieb sorgt dafür, dass Sie sich gut genug festhalten.' Und tatsächlich habe ich mich noch nie so an etwas festgehalten wie da oben.“

Der Ex-Kadett sagt: „Man lernt die nötige Härte, jeder Handgriff muss im Notfall sitzen.“ Deshalb seien Routine und Ausbildung auf einem Segelschiff im Prinzip sinnvoll: „Aber die Grenze ist da, wo Leben in Gefahr sind.“ Und das sei auf der Gorch Fock der Fall: „Es sollte keinerlei Ausbildung mehr auf der Gorch Fock stattfinden: zu gefährlich.“ Seit seinem Einsatz sind mindestens vier Soldaten und Soldatinnen ums Leben gekommen.

Milder als das Verhalten der Schiffsführung beurteilt der Kadett das Krisenmanagement des Verteidigungsministers. „Dass er den Kapitän seines Kommandos enthoben hat, kann man so oder so sehen.“ Kapitän Norbert Schatz hätte aber „sicher ein Autoritätsproblem bekommen, wenn die Gorch Fock unter seinem Kommando nach Deutschland zurückgesegelt wäre“, sagt er.

Nach Ansicht von Rechtsanwalt und Ex-Kadett Gerrit Mulert droht den zuständigen Offizieren mächtig Ärger: „Ich wünsche Ihnen starke Nerven“, schreibt er im Gästebuch: „Ihnen steht aller Voraussicht nach eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung bevor“, meint er und: „Seien Sie froh, wenn Sie die Staatsanwaltschaft nicht sogar wegen Totschlags anklagt, was hart, aber vertretbar wäre.“

Deshalb habe der Verteidigungsminister gar keine andere Wahl gehabt, als die Gorch Fock zurückzuholen und die Stammbesatzung dadurch der Staatsanwaltschaft zugänglich zu machen.

Mulert beklagt auch die „überaus geschmacklose Rede“ des Kommandanten am Tag nach dem Tod der 21-jährigen Sarah S. – Norbert Schatz hatte sinngemäß gesagt: „Unfälle passieren.“ Menschlich betroffene Soldaten seien „veralbert worden“. Tags darauf gab es eine Faschingsfeier an Bord mit Bier und Maskerade.

Berichte über sexuelle Belästigungen wollen ehemalige Kadetten nicht bestätigen: „Aber die Bundeswehr ist eine Geschlossene Gesellschaft, in der so was nicht nach außen dringt.“ Eine Ex-Kadettin hatte berichtet, die „Gorch Fock“ habe in der Marine den Ruf des „größten schwimmenden Bordells Deutschlands“. Nicht nur Frauen, auch Männer berichten, sie seien von der Stammbesatzung des Schiffes sexuell belästigt worden. Matthias Maus

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