Sind Babyklappen sinnlos?

„Terre des Hommes“ erklärt das Konzept der Abgabestellen für gescheitert. Eine Münchner Ordensschwester hält dagegen
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„Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben“: Schwester Daniela in der Münchner Babyklappe vom Kloster St. Gabriel.
az „Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben“: Schwester Daniela in der Münchner Babyklappe vom Kloster St. Gabriel.

„Terre des Hommes“ erklärt das Konzept der Abgabestellen für gescheitert. Eine Münchner Ordensschwester hält dagegen

Das Baby lag in einem Pappkarton, der kleine Körper war bereits stark verwest. Seine Mutter, 22 Jahre alt und Medizin-Studentin, hatte es in Schwabing zur Welt gebracht und dann auf dem Dachboden ihrer Eltern im sächsischen Elsterberg versteckt. Am Sonntag wurde die Mädchen-Leiche entdeckt. Zwei Tage später fanden Mitarbeiter einer Müllentsorgungsfirma in Wiesa einen neugeborenen Buben, der laut Polizei „gewaltsam zu Tode gebracht worden“ war. Seit gestern steht in Erfurt eine 39-Jährige vor Gericht, die ihr Baby in einen Container geworfen hatte. Anfang April wurde Sabine H. verurteilt, die ihre neun Babys sterben ließ.

Die Frauen hätten ihre Kinder auch zu einer Babyklappe bringen können – taten sie aber nicht. Jetzt ist die Diskussion um die Einrichtungen neu entbrannt. Sind sie überflüssig? „Ja“, sagt Michael Heuer von der Kinderhilfsorganisation „Terre des Hommes“. „Das Konzept Babyklappe ist gescheitert.“ „Nein“, sagt Schwester Daniela vom Kloster St. Gabriel, das eine der beiden Münchner Babyklappen betreibt.

Kindstötungen verhindern ist das Ziel

Die Zahl der tot aufgefundenen Neugeborenen ist seit Einführung der Klappen vor acht Jahren in etwa gleich geblieben. 1999 wurden laut „Terre des Hommes“ bundesweit 21 Fälle bekannt, 2003 waren es 31, im vergangenen Jahr 26. Die Zahlen stammen aus einer Auswertung von Zeitungsberichten. Eine offizielle Statistik über Neonatizide (Tötung eines Neugeborenen bis zu 24 Stunden nach der Geburt) gibt es nicht. Schätzungen gehen davon aus, dass auf 100000 Geburten 40 Fälle kommen, in denen die Mutter ihr Baby umbringt oder unversorgt sterben lässt. „Die Klappen-Betreiber sind mit dem Argument angetreten, Kindstötungen verhindern zu wollen. Die Zahlen zeigen: Das hat nicht geklappt“, sagt Michael Heuer.

Eine Ursache dafür sieht Anke Rohde, Leiterin der Gynäkologischen Psychosomatik an der Frauenklinik Bonn, in der psychischen Verfassung der Betroffenen. Diesen fehle es an persönlicher Reife und der Fähigkeit, Probleme zu bewältigen. „Verdrängungsmechanismen, sei es aus Angst oder Scham, führen dazu, dass sie von der Geburt ,überrascht’ werden“, sagt Rhode. „Angebote wie anonyme Geburt oder Babyklappe erreichen sie gar nicht, da sie ja überhaupt nichts von ihrer Schwangerschaft ,wissen’“. Michael Heuer: „Wenn diese Frauen dann ihre Kinder töten, tun sie das meist in Panik. Sie sind nicht mehr zu rationalem Handeln fähig – anders als Mütter, die wollen, dass ihr Kind überlebt und es zur Babyklappe bringen.“ „Terre des Hommes“ plädiert deshalb für bessere Hilfsangebote

Nicht vorschnell urteilen

„Natürlich ist es schwer, jede Schwangere, die sich in einer Notsituation befindet, zu erreichen“, sagt Schwester Daniela. Dass manche keinen anderen Ausweg mehr wüssten, als ihr Baby zu töten, sei ein generelles Problem der Gesellschaft. „Mütter, die ihre Kinder weggeben, werden als Rabenmütter hingestellt. Zur Zeugung gehören zwei Menschen – aber über die Frauen wird hergezogen“, sagt sie. „Deshalb habe ich größten Respekt vor denjenigen, die ihr Kind in die Klappe bringen.“ Wie viele im Kloster abgegeben wurden, seit dort im Oktober 2000 die „Lebenspforte“ eingerichtet wurde, will Schwester Daniela nicht verraten.

Laut „Terre des Hommes“ nimmt die Zahl ausgesetzter Säuglinge seit der Einführung zu. „Auszugehen ist von 300 bis 500 Findelkindern, die namenlos hinterlassen wurden“, heißt es in einem Statement. Die Organisation kritisiert, dass anonym abgegebene Kinder keine Chance hätten, etwas über ihre Herkunft zu erfahren. „Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben – mehr noch als auf Wurzeln“, hält Schwester Daniela dagegen. Deshalb würde sie sich wünschen, dass noch mehr Frauen über Babyklappen Bescheid wüssten. „Anfangs wollten wir mit Plakaten und Aufklebern auf unsere Lebenspforte aufmerksam machen“, berichtet sie. „Aber das hat uns die Stadt untersagt.“

Warum? Weil Babyklappen in Deutschland bis heute die rechtliche Grundlage fehlt. „Es ist nicht erlaubt, Kinder auszusetzen oder gar Einrichtungen zu diesem Zweck zu errichten“, erklärt Michael Heuer. Ein schwerwiegendes Problem – für beide Seiten.

Natalie Kettinger

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