Sexskandal: Die letzten Tage von Silvio, dem Unmöglichen
ROM - Der Regierungschef der siebtgrößten Volkswirtschaft unterhielt einen Harem und feierte Orgien in seiner Villa. Am Wochenende muss Berlusconi mal wieder zum Staatsanwalt.
Einmal war’s besonders heftig. Drei Männer und 28 Frauen vergnügten sich. Die Frauen waren Prostituierte, zwei der Männer waren „Zuhälter“. Und der dritte Mann war Silvio Berlusconi.
Dokumentiert ist der Reigen nicht in einem Schundroman, sondern in 389 Seiten Abhörprotokollen. Die hat die Mailänder Justiz dem Parlament in Rom zukommen lassen. Ort der Orgie ist nicht der Palast eines Oligarchen, sondern eine Villa des Ministerpräsidenten. Der Zeitpunkt liegt nicht im Alten Rom, sondern zwischen Februar und Mai 2010.
Der Regierungschef der siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt versinkt in einem Skandal von Sex mit Minderjährigen und Machtmissbrauch. Er soll erpresst worden sein. Die „Tänzerin“ Karima al Mahruk, in Italien sattsam bekannt als „Ruby rubacuore“, Ruby Herzensdiebin, wollte „fünf Millionen wegen Beschmutzung meines Namens“. Und Berlusconi habe ihr gesagt: „Ich gebe Dir soviel Geld wie Du willst, ich überschütte dich mit Gold, das wichtigste ist, dass du alles verschweigst.“
Das erzählte Ruby ihrem aktuellen Freund am Telefon. Das wurde abgehört von den Fahndern, wie dutzende andere Gespräche. Es geht um Prostitution mit Minderjährigen, und es geht um Machtmissbrauch. Unter den Ministern des Berlusconi-Lagers herrscht „Panik“ wegen „Rubygate“, wie ein Insider weiß. Statt um Staatsschulden, Wirtschaft oder Euro-Krise geht es in Italien um Ruby.
17 war sie, von Februar bis Mai 2010 soll sie an dutzenden Abenden in Berlusconis Villa gewesen sein, zusammen „mit einer beträchtlichen Anzahl von Frauen“. So steht es in den Protokollen. Die Frauen stammen aus dem normalen Rotlichtmilieu, keine Edel-Prostituierten. Sie bekamen Geld, und „sie waren enttäuscht, wenn sie nur Schmuck erhielten“, so die Ermittler: „Er ist alt und dick und hässlich geworden“ sagte eine am Telefon über den Hausherrn: „Hoffentlich ist er großzügig“.
Vom 24. bis 26, April, so die Aufzeichnungen, war Ruby durchgehend in der Villa bei Arcore. Am 25. April empfing Berlusconi dort auch seinen russischen Kollegen. Die Staatsanwalt prüft noch, ob Ruby da auch Wladimir Putin kennenlernte. Selbstverständlich war „Ruby“ auch während des Großauftritts mit den Zuhältern zugange. Berlusconi unterhielt demnach einen Harem, das bedeutet Organisation. Die oblag Nicola Minetti.
Sie war Showgirl in einer von Berlusconis Sendern, sitzt mit 25 Jahren für seine Partei im lombardischen Regionalparlament. Minetti ist gelernte Zahnpflegerin, und als solche lernte sie Berlusconi im Krankenhaus persönlich kennen. Dort kurierte er nach dem Attentat eines Verwirrten eine Gesichtsverletzung aus.
Minetti war auch auf den Partys. „Die hat Berlusconi ständig geküsst“, berichtet eine Teilnehmerin. Minetti war es auch, die „Ruby“ in Empfang nahm, als sie im Mai aus dem Polizeigewahrsam kam. Wegen Ladendiebstahl war die Herzensdiebin auf dem Revier, eine Intervention des Staatschefs soll für ihre Freilassung gesorgt haben. Für die Ermittler ist das Amtsmissbrauch, für Berlusconi ein Problem.
„Niemals habe ich für Frauen bezahlt“, sagt er. Doch diesmal könnte das Fass überlaufen. Die letzten Tage von Silvio, dem Unmöglichen könnten angebrochen sein.
„Es ist egal was er als Privatmann macht, es ist nicht egal was er als Regierungschef macht“, sagt Busfahrer Simone Calvarese in Rom. Er hat Berlusconi gewählt. Entsetzt ist er trotzdem. Die Opposition fordert Berlusconis Rücktritt „wenn er noch einen Funken Anstand hat“. Die katholische Presse äußert sich „verletzt und erschüttert“ ob der Vorstellung, „ein Mann an der Spitze des Staates könne in Prostitution mit Minderjährigen verwickelt sein“.
Heute oder am Wochenende soll der Regierungschef bei der Staatsanwaltschaft vorsprechen. Und was sagt er auf die Frage, ob er an Rücktritt denke: „Seid Ihr verrückt?“ Auf den Partys gab es einen erotischen Tanz namens „Bunga Bunga“. Gaddafi soll Berlusconi damit vertraut gemacht haben. Die Turiner Zeitung La Stampa schrieb gestern: „Mit Bunga Bunga kann man ein Kaiserreich regieren – aber keine Demokratie.“
Matthias Maus
Berlusconis Affären: Bestechung, Schwarzgeld, Steuerhinterziehung
„Rubygate“, der Skandal um Prostitution und Amtsmissbrauch ist nur die letzte in einer Reihe von Affären, die Silvio Berlusconi durch seine politische Karriere begleiten. Bisher haben die Italiener ihrem „Cavaliere“ und Regierungschef alles durchgehen lassen und ihn sogar drei Mal wiedergewählt.
600 000 Dollar soll Berlusconi als Medienunternehmer an den britischen Anwalt David Mills gezahlt haben – als Schweigegeld. Mills sollte Vorwürfe nicht aufrechterhalten, Berlusconi habe über Scheinfirmen Geld gewaschen, das dem Staat gehörte. Das Verfahren ist noch anhängig, das Delikt verjährt nach italienischem Recht 2012.
Über Tarnfirmen seines Medienunternehmens Mediaset soll Berlusconi USFilme zu überhöhten Preisen gekauft haben – an den italienischen Steuerbehörden vorbei. Der Schaden liegt laut Anklage bei 470 Millionen Euro, das Verfahren ist in der ersten Instanz.
Ähnlich liegt der Fall bei Filmgeschäften von Berlusconis Firma Mediatrade. Auch hier soll über Scheinfirmen und Strohmänner Geld zu Lasten des Fiskus gewaschen worden sein. Die Vorermittlungen laufen.