Schuldenkrise: Der Tag X für Griechenland
Athen - Vor dem Referendum in Griechenland treten Europas Spitzenverantwortliche einmal mehr mit ernster Miene auf. Dafür gibt es einen guten Grund: Es geht bei der Volksabstimmung am Sonntag nicht nur um das Sparpaket für das Krisenland, sondern letztlich um die Zukunft der gesamten Eurozone mit über 330 Millionen Menschen.
Bei einem „Nein“ der Griechen zur Sparpolitik droht ganz konkret der „Grexit“, also der Austritt Griechenlands aus dem Eurogebiet. Dieses Szenario macht auch in Brüssel Sorge, denn es fehlen ein Musterfall und die rechtliche Grundlage dafür.
Keine Regierung kann ihren Bürgern weitere Athen-Hilfen verkaufen
Mit einem „Grexit“ folge auch eine unsichere Zukunft und hohe Kosten für die griechische Gesellschaft – zumindest am Anfang, bilanziert der Direktor der angesehenen Brüsseler Denkfabrik Bruegel, Guntram Wolff.
Keine Regierung der 18 Euro-Partnerländer werde bereit sein, weitere Milliardenhilfen an Athen gegenüber den eigenen Wählern zu vertreten. Auch die Europäische Zentralbank dürfte den Rahmen für Notkredite kaum ausweiten. Der Ökonom Wolff spricht damit aus, was viele in Brüssel denken. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem sieht bei einem „Nein“ die Basis für Griechenland in der Eurozone in Frage gestellt. Ein „Ja“ der Griechen ließe das Schreckensszenario eines „Grexit“ wieder in die Ferne rücken.
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Doch die Lage am Montag dürfte nicht einfach sein. „Selbst im Fall eines Ja-Votums stehen wir vor schwierigen Verhandlungen“, resümiert EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Das alte Hilfsprogramm für Griechenland war Mitte der Woche ausgelaufen – ohne dass es eine Verlängerung gibt.
Ein neuer Hilfsplan muss verhandelt werden, das dauert drei bis vier Wochen, möglicherweise auch länger. Schon am 20. Juli ist in Athen der nächste dicke Brocken fällig: rund 3,5 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank. Ist die klare Sprache der Europäer zur Volksabstimmung eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Griechenlands? Die Ansichten darüber gehen auseinander. Schon in turbulenten Zeiten der Finanzkrise nahmen die Europartner kein Blatt vor den Mund.
EU-Politiker sehnen sich nach einem Ende der Tsipras-Regierung
Bei Beteiligten unvergessen sind dramatische Stunden im November 2011, als der sozialistische Regierungschef Giorgos Papandreou am Rande des G20-Gipfels in Cannes davon abgehalten wurde, ein Euro-Referendum abzuhalten. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy drohten damit, dass Griechenland notfalls die Eurozone verlassen müsse.
Vor dem Griechen-Referendum läuft die deutsch-französische Abstimmung weniger rund. Während Sarkozys Amtsnachfolger François Hollande dafür plädierte, ganz schnell zu handeln, lehnte Merkel Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm ab. Manch einer in Brüssel macht sowieso keinen Hehl daraus, dass er in Zukunft gerne mit einer neuen griechischen Regierung in Gespräche treten würde. Auf jeden Fall hat das Vertrauen in Premier Alexis Tsipras erheblich gelitten.
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Gegner und Befürworter des Spar- und Reformkurses liegen unterdessen laut einer aktuellen Umfrage fast gleichauf: 44,8 Prozent der Befragten würden für „Ja“ stimmen, 43,4 Prozent wären dagegen. 11,8 Prozent der Befragten hatten sich noch nicht entschieden.