„Russland kennt das ja“

SOTSCHI - Frostiger Gipfel in der Sommerresidenz am Schwarzen Meer: Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Gast beim russischen Präsidenten Dmitri Medwedew. „Bei internationalen Konflikten hat selten nur eine Seite die Schuld.“
Es war seit Wochen als freundlicher Kennenlernbesuch in der subtropischen Luxus- Residenz am Schwarzen Meer geplant: Doch angesichts des Kaukasus-Kriegs wurde das Treffen zwischen Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Dmitri Medwedew zu einer frostigen Veranstaltung, bei der sich beide Seiten nichts schenkten.
Ein „sehr offenes“ Gespräch wolle sie führen, hatte Merkel schon beim Hinflug nach Sotschi ventilierenlassen – aus der Diplomatensprache übersetzt heißt das: schonungslos bis knapp unter die Schreigrenze. In dem Badeort, der nur wenige Kilometer von der georgischen Grenze entfernt liegt, ging es dann in der Tat hart zur Sache. Merkel schonte Medwedew bei der gemeinsamen Pressekonferenz nicht. „Bei internationalen Konflikten hat selten nur eine Seite die Schuld.“
Doch Russlands Aktionen seien „zum Teil unverhältnismäßig“ gewesen. Dazu gehöre die andauernde Anwesenheit von russischen Truppen im georgischen Kernland. „Es muss umgehend dazu kommen, dass der Sechs-Punkte-Friedensplan verwirklicht wird und sich die Truppen aus dem Kerngebiet Georgiens zurückziehen.“
Der Plan, den Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ausgearbeitet hat, sieht allerdings vor, dass sich die russischen Truppen zehn Kilometer weit ins georgische Kernland hineinbewegen dürfen – für die Georgier eine schwer zu schluckende Kröte, weswegen sie den Plan noch nicht unterzeichnet haben. Medwedew sagte, dass seine Truppen ja dabei seien, sich zurückziehen. Aber auch: „Wir sind der Garant der Sicherheit im Kaukasus.“ Und über die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien sagte er, niemand dürfe die territoriale Integrität als Basis des Völkerrechts in Frage stellen. Aber es sei „sehr unwahrscheinlich“, dass man die Südosseten und Abchasen zurück in den georgischen Staat zurückzwingen könne. „Sie wollen dort nicht leben.“
Da wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel recht spitz: „Nicht jedes Volk, das aus einem Staat austreten will, kann das auch tun. Russland kennt das ja“, sagte sie mit Verweis auf Tschetschenien, das ebenfalls unabhängig sein will und von Moskau seit Jahren mit Waffengewalt daran gehindert wird. Sie forderte eine langfristige Lösung, damit die Kämpfe nicht bei nächster Gelegenheit wieder ausbrechen.
Die ganz große Annäherung war nach dem Vier-Stunden- Gipfel nicht auszumachen – aber immerhin wird geredet. Merkels Bilanz: „Noch keine Lösung, aber Fortschritte.“ Medwedews Fazit: „Widersprüche, die aber zu lösen sind.“ Morgen wird Bundeskanzlerin Angela Merkel in Tiflis erwartet, wo sie Gespräche mit dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili führt. Dort war gestern US-Außenministerin Condoleezza Rice zu Gast.
Über die Lage in den Krisenregionen gab es auch gestern nur unübersichtliche und widersprüchliche Berichte. Die regulären russischen Truppen sind offenbar tatsächlich auf dem Rückzug, räumen aber dabei offensichtlich georgische Waffendepots. Allerdings gibt es nach mehreren Berichten zunehmend südossetische Guerrilla-Kämpfer, die als Rache für die georgische Offensive plündernd durch das Grenzgebiet ziehen. Menschenrechtler warfen Russland vor, bei einem Angriff die umstrittene Streumunition eingesetzt zu haben. Moskau bestreitet das.