Russland baut militärische Kontrolle auf Krim aus
Moskau - Am Mittwoch stürmten prorussische Kräfte das Hauptquartier der ukrainischen Flotte in der Hansestadt Sewastopol und setzten Marinechef Sergej Gajduk fest.
Das russische Verfassungsgericht billigte am selben Tag den international nicht anerkannten Vertrag über die Eingliederung der zur Ukraine gehörenden Krim in die Russische Föderation. Das Dokument sei mit der russischen Verfassung konform, sagte Gerichtspräsident Waleri Sorkin in St. Petersburg. "Die Entscheidung ist einstimmig getroffen worden."
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte den Vertrag, der nach Ansicht des Westens gegen das Völkerrecht verstößt, zur Prüfung beim Gericht eingereicht. Nun müssen noch Staatsduma und Föderationsrat das am Vortag von Putin und der prorussischen Krim-Führung unterzeichnete Dokument ratifizieren. Das soll bis Freitag passieren.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon reist kurzfristig nach Russland und trifft am Donnerstag Präsident Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow in Moskau. Einen Tag später will er in Kiew mit Übergangspräsident Alexander Turtschinow und Regierungschef Arseni Jazenjuk über die Lage sprechen. Der Besuch sei "Teil der diplomatischen Bemühungen, um alle Seiten zu einer friedlichen Lösung der Krise zu bewegen", teilten die Vereinten Nationen mit.
Am Morgen drangen dutzende prorussische Uniformierte auf das Gelände der ukrainischen Marine in Sewastopol vor und hissten russische Flaggen. Nach Dutzenden ukrainischen Soldaten hätten auch Kommandeure den Stützpunkt verlassen, meldete die Agentur Interfax. Das örtliche Internetportal sevastopol.su berichtete, Marinechef Gajduk habe sich im Jogginganzug gestellt. Es habe weder Gewalt noch Verletzte gegeben.
Nach ukrainischen Angaben versuchten prorussische Kräfte, mit einem Traktor einen ukrainischen Stützpunkt bei Jewpatorija im Westen der Krim zu stürmen. Zudem häuften sich Berichte, wonach immer mehr Soldaten ihre zumeist von prorussischen Kärften umstellten Basen freiwillig verlassen.
Die moskautreue Krim-Führung hatte die ukrainischen Soldaten auf der Halbinsel zum Seitenwechsel aufgerufen. Das ukrainische Verteidigungsministerium wiederum erteilte die Erlaubnis zum Waffeneinsatz zur Selbstverteidigung. Der Chef der russischen Schwarzmeerflotte, Alexander Witko, forderte die ukrainischen Truppen auf der Halbinsel auf, diesen Befehl nicht umzusetzen.
Die Ukraine, zu der die Krim völkerrechtlich gehört, sowie der Westen werfen Russland einen eklatanten Bruch internationalen Rechts vor. Die EU und die USA wollen weitere Sanktionen, beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel ist die Ukraine ein Hauptthema.
Die Bundesregierung rechnet allerdings nicht damit, dass der Gipfel eine weitreichende Verschärfung der Strafmaßnahmen - etwa Wirtschaftssanktionen - beschließen wird. Stufe Drei des Anfang März beschlossenen Sanktionsplans würde nur bei einer weiteren massiven Destabilisierung über die Krim hinaus greifen, hieß es aus Regierungskreisen in Berlin. Gesprochen werde aber voraussichtlich über zusätzliche Maßnahmen der Stufe Zwei, also über Reisebeschränkungen und das Einfrieren von Konten.
Auf dem EU-Gipfel soll mit der Ukraine zudem der politische Teil des geplanten Assoziierungsabkommens unterzeichnet werden, den das Bundeskabinett am Mittwoch billigte. Zollerleichterungen in Höhe von 500 Millionen Euro sollene ebenfalls beschlossen werden. Die EU bereitet auch zusätzliche Finanzhilfe in Höhe von einer Milliarde Euro vor, wie EU-Währungskommissar Olli Rehn in Brüssel sagte. Sie sei allerdings von Reformen der ukrainischen Regierung abhängig.
US-Vizepräsident Joe Biden kritisierte das russische Vorgehen auf der Krim als "unverhüllte Aggression" und drohte mit Konsequenzen. "So lange Russland diesem dunklen Pfad folgt, wird es wachsende politische und wirtschaftliche Isolation erfahren", sagte er in der litauischen Hauptstadt Vilnius. "Russland geht einen international isolierten Weg, und es ist ein Weg, der große Gefahren für das Zusammenleben der Staaten in Europa birgt", sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.
Großbritanniens Premierminister David Cameron rief zu einer Diskussion über einen Ausschluss Russlands aus dem Staatenbund G8 auf. "Wenn wir uns von dieser Krise abwenden und nichts tun, dann werden wir langfristig einen sehr hohen Preis zahlen", sagte er in London. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärte in Washington: "Dies ist die größte Bedrohung für Europas Sicherheit und Stabilität seit dem Ende des Kalten Krieges."
Im Ringen um eine Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Ukraine gibt es keine Fortschritte. Eine OSZE-Sitzung am Mittwoch in Wien wurde ohne neuen Termin vertagt, wie die Schweizer Präsidentschaft mitteilte. Es gebe auf russischer Seite keine Bewegung. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hält eine solche Mission, die prüfen soll, "ob es Aktivitäten Russlands jenseits der Krim gibt", für dringlich. Deutschland wolle sich mit bis zu 20 eigenen Beobachtern beteiligen.
Unterdessen sorgen geplante Russlandgeschäfte des Energiekonzerns RWE und der Rüstungsfirma Rheinmetall mitten im Ukraine-Konflikt für Unmut. Die Grünen forderten die Bundesregierung auf, den Verkauf der RWE-Tochter Dea an einen russischen Großinvestor sowie eine Übernahme von Gasspeichern durch Gazprom zu stoppen. Auch die Rheinmetall- Lieferung für ein Gefechtsübungszentrum in Russland müsse unterbunden werden. Auch Unionspolitiker äußerten sich kritisch zum Dea-Verkauf an eine Gruppe unter Beteiligung eines russischen Oligarchen.
Auf der Krim hatten die Bewohner am Sonntag bei einem international nicht anerkannten Referendum mit großer Mehrheit für einen Beitritt zu Russland gestimmt. Am Dienstagabend hatten Hunderttausende in Russland die Eingliederung der Krim gefeiert. Am Mittwoch begann Russland damit, Pässe auf der Krim auszugeben.