Pessimisten gegen Optimisten: Österreichs Präsidentenwahl
Wien - Der Kandidat stehe für "Anstand, Besonnenheit und Fairness". Bettina Lancaster, SPÖ-Bürgermeisterin in der 850-Seelen-Gemeinde Steinbach am Ziehberg in Österreich, will kurz vor der Präsidentenwahl noch einmal ein Zeichen setzen - und für den Grünen-nahen Alexander Van der Bellen werben. 136 Bürgermeister - bei einer Gesamtzahl von 2100 Gemeinden - haben sich der überparteilichen Initiative des ehemaligen EU-Kommissars Franz Fischler (ÖVP) angeschlossen. Es ist ein Versuch, speziell auf dem Land zumindest die Nichtwähler zugunsten des 72-jährigen Wirtschaftsprofessors zu mobilisieren. Das ist aus Sicht seiner Anhänger akut geboten. Denn in kleinen Ortschaften dominierte bei der ersten Stichwahl am 22. Mai klar der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer.
Hofer greift Merkel an: "Enormer Schaden für Europa"
Österreichs Schicksalswahl
Österreich steht bei der Wahl des Staatsoberhaupts vor einer Richtungsentscheidung. Sie hat Signalcharakter auch für die weitere Entwicklung des europaweiten Höhenflugs der Rechtspopulisten mit ihrer migrationsfeindlichen Haltung.
Gewinnt Van der Bellen, bliebe Österreich auf EU-Kurs. Die rot-schwarze Regierungskoalition hätte Zeit für Bewährung gewonnen. Eine FPÖ hätte es schwerer, den nächsten Kanzler zu stellen. Denn Van der Bellen will FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache selbst bei dessen Sieg bei den nächsten Parlamentswahlen nicht mit der Regierungsbildung beauftragen.
Gewinnt der 45-jährige Hofer, droht zwar kein sofortiger Austritt aus der EU, aber eine fundamental europa-kritische Haltung in Österreich. Der gelernte Flugzeugtechniker will sich anders als seine Vorgänger in die Tagespolitik einmischen und der Regierung speziell in Fragen der Flüchtlingskrise auf die Finger schauen. Obendrein wäre sein Sieg wohl nur eine Etappe auf dem Weg der FPÖ ins Kanzleramt.
Pessimisten wählen Hofer, Optimisten Van der Bellen
"Die meisten Menschen haben sich schon lange entschieden", sagt Florian Oberhuber vom Meinungsforschungsinstitut Sora. Die Experten erwarten keine große Dynamik zwischen den beiden Lagern. "Es kommt tatsächlich auf jede einzelne Stimme an", sagt er mit Blick auf den knappen Van der Bellen-Sieg vom Mai. Der Kreis der Unentschlossenen gilt mit nur wenigen Prozent als extrem klein. Wichtigstes Wahlmotiv: Der Blick in die Zukunft. Unter den Pessimisten hat Hofer dem Sora-Institut zufolge einen 50-Prozentpunkte-Vorsprung, unter den Optimisten liegt Van der Bellen 40 Prozentpunkte vor Hofer. "Zu den größten Sorgen zählt der Arbeitsmarkt", sagt Oberhuber.
Vor gut sechs Monaten hatte der Wirtschaftsprofessor 50,35 Prozent der Stimmen erreicht. Sechs Wochen - bis zur Annullierung der Wahl durch den Verfassungsgerichtshof - durfte sich Van der Bellen bereits als Staatsoberhaupt fühlen. Jetzt sagen alle Umfragen seit Monaten ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit leichten Vorteilen für Hofer voraus. Er hat wieder auf einen Anti-Establishment-Wahlkampf gesetzt - obwohl er als stellvertretender Nationalratspräsident dazugehört.
Zumindest die Stimmen vieler in der Wirtschaft hat der Ex-Grünen-Chef Van der Bellen ziemlich sicher. Die Industriellenvereinigung ist für ihn, der Bau-Unternehmer Hans Peter Haselsteiner (Strabag) hat sogar eine Kampagne "Nein zum Öxit (EU-Austritt)" initiiert. Darin wird Hofer vorgeworfen, er sei der "Chefideologe" hinter dem Anti-EU-Kurs der FPÖ. Hofer betreibe einen "gefährlichen Zick-Zack-Kurs" in Sachen Öxit und riskiere so viele Arbeitsplätze. Van der Bellen spielt in seiner Kampagne immer wieder auf die Sorgen vor einem EU-Austritt an. "Vernunft statt Extreme. Unser Präsident der Mitte", heißt es auf seinen Wahlplakaten.
Ist Hofer ein "Wolf im Schafspelz"?
Der rhetorisch hoch versierte Hofer sowie sein Parteichef Strache haben gerade in jüngster Zeit versucht, ihre Anti-EU-Haltung abzuschwächen. Die EU gehöre reformiert, die Frage eines Öxits stelle sich aktuell nicht, war der Tenor ihrer Aussagen. Auch in der Ausländerfrage ist Hofer nicht unbedingt der klassische rechtspopulistische Scharfmacher. Vor der ersten Stichwahl im Mai nannte Hofer die Migranten noch "Invasoren". Dieser Ausdruck kam ihm nun nicht mehr über die Lippen. Seine Gegner halten ihn für einen "Wolf im Schafspelz".
Das Buhlen um die politische Mitte, um die Wähler der konservativen ÖVP und die Fans der in der ersten Runde gescheiterten unabhängigen Kandidatin Irmgard Griss, war ein Hauptziel der Kampagnen. Schmutzige Wäsche wurde dennoch gewaschen. Ein SPÖ-Landeschef nannte Hofer einen "Nazi", das wurde ihm später gerichtlich verboten. Die Hofer-Anhänger stellten Van der Bellens "Heimat"-Wahlplakate optisch in die Nähe von Hitler-Fotos auf dem Obersalzberg. Dass der 72-Jährige als junger Mann einmal der kommunistischen Partei nahestand, wird ihm vorgeworfen. Kommentatoren orteten nicht nur den längsten, sondern den bisher schmutzigsten Wahlkampf um die Hofburg.
Die Entscheidung am Sonntag ist so oder so eine Etappe auf dem Weg zur möglichen Umgestaltung der politischen Landschaft in Österreich. 2017 und 2018 stehen vier Landtagswahlen an. Obendrein ist eine vorgezogene Neuwahl und damit das Ende der rot-schwarzen Koalition nicht ausgeschlossen. Nicht von ungefähr wollen die Sozialdemokraten ihr Verhältnis zur FPÖ überdenken. Der langen Ausgrenzung könnte eine Annäherung folgen. Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern hat sich zehn Tage vor der Wahl zu einer vielbeachteten öffentlichen Diskussion mit Strache getroffen. Zwar sei man inhaltlich noch "mittlere Welten" voneinander getrennt. Aber die Atmosphäre beschrieben beide als "amikal" - also freundschaftlich.
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