Österreicher: Nicht alles schlecht unter Hitler
Vor 75 Jahren marschierten deutsche Truppen in Österreich ein. Noch heute finden sehr viele Österreicher, dass unter Hitler nicht alles schlecht war
WIEN 42 Prozent der Österreicher sind der Meinung, dass unter Hitler „nicht alles schlecht“ war. Dies geht aus einer jetzt veröffentlichten Umfrage hervor. Für 57 Prozent gab es dagegen keine guten Seiten an der Naziherrschaft in Österreich.
Anlass der von der liberalen Tageszeitung „Der Standard“ in Auftrag gegebenen repräsentativen Befragung ist der 75. Jahrestag des „Anschlusses“ von Österreich an Nazideutschland am 12. März 1938. Viele Österreicher erhofften sich nach Jahren der Wirtschaftskrise einen Aufschwung. 53 Prozent der Befragten gaben an, der „Anschluss“ sei damals freiwillig erfolgt,
46 Prozent sehen Österreich als Opfer. Was die Aufarbeitung der Nazizeit angeht, sind 61 Prozent der Ansicht, sie sei ausreichend, 39 Prozent sehen Nachholbedarf. Auch in der Frage der Entschädigung von Nazi-Opfern gehen die Meinungen auseinander: 57 Prozent gaben an, dass die Opfer beziehungsweise deren Nachkommen ausreichend entschädigt wurden, 42 Prozent sind der Ansicht, dies sei nicht der Fall.
61 Prozent wünschen sich "einen starken Mann"
In derselben Umfrage zeigte sich auch, dass sich 61 Prozent der Befragten einen „starken Mann“ an der Spitze des Landes wünschen, schrieb „Der Standard“. Dabei handle es sich mehrheitlich um ältere Menschen. Für die Umfrage wurden in den vergangenen Tagen 502 wahlberechtigte Österreicher befragt.
Jahrzehntelang waren die NS-Verbrechen in Österreich weder in Schulen noch in der Öffentlichkeit Thema. Heute ist die Opferrolle einem differenzierten Bild gewichen.
Aber das hat lange gedauert - das zeigt auch das Beispiel der Wiener Hofburg: Heute finden an der zentralen Stelle vor der Hofburg Veranstaltungen wie Genuss-Wochen, eine Öko-Messe, Touristen-Führungen und einmal im Jahr die Leistungsschau des Bundesheeres statt. Doch lange war der Wiener Heldenplatz vor allem mit einem Ereignis verknüpft: dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland.
250.000 Österreicher jubelten Hitler zu
Drei Tage nach dem Einmarsch der ersten deutschen Soldaten, am 15. März 1938, stand hier Adolf Hitler auf dem Balkon der Neuen Burg und ließ sich von einer Viertelmillion jubelnder Menschen feiern. Noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg sah sich Österreich offiziell als erstes Opfer der Nationalsozialisten. Doch 75 Jahre nach dem „Anschluss“ ist diese Geschichtsdeutung einem deutlich differenzierterem Umgang gewichen, sagen Experten.
„Es gibt ein sehr selbstkritisches Geschichtsbewusstsein“, sagt der Historiker Oliver Rathkolb von der Universität Wien. Von einer Opferrolle spreche heute öffentlich niemand mehr. Wissenschaftliche Aufarbeitung und die Debatte um die NS-Vergangenheit von Bundespräsident Kurt Waldheim (Amtszeit 1986-1992) brachten von den 1990er-Jahren an den Wandel, so Rathkolb.
1991 räumte Kanzler Franz Vranitzky in einer Regierungserklärung erstmals öffentlich eine Mitschuld der Österreicher an den NS-Verbrechen ein. Der Weg hin zu einem differenzierten Bild sei aber viel zu lang gewesen, kritisiert der Geschäftsführer von „erinnern.at“, Werner Dreier. Sein Verein setzt sich für die Auseinandersetzung an Schulen mit der NS-Zeit und dem Holocaust ein. Schulbücher und der Geschichtsunterricht seien beispielsweise erst vor zehn Jahren überarbeitet worden: „Bis dorthin wurde der Anteil Österreichs an der NS-Gewaltpolitik nicht dargestellt oder sehr zurückgehalten.“
„erinnern.at“ organisiert unter anderem Besuche von Zeitzeugen in Schulen. Das Interesse von Lehrern wie Schülern sei sehr groß, sagt Dreier. Zum 75. Jahrestag gibt es in Österreich zahlreiche Veranstaltungen und Ausstellungen. Am Wiener Zentralfriedhof wird eine Gedenkstätte für die Opfer der NS-Justiz eingeweiht.
"Der Heldenplatz ist ein Ort der Schande"
Ein unter anderem von Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann geplantes Projekt am Heldenplatz ist aber wegen fehlender Sponsoren geplatzt. Direkt unter dem berühmten Balkon, auf dem Hitler seine Rede hielt, ist heute der Eingang zur Nationalbibliothek, die sich nun in einer Ausstellung mit den Opfern auseinandersetzt. „Für mich ist der Heldenplatz diesbezüglich schon ein Platz der Schande“, sagt die Direktorin der Nationalbibliothek, Johanna Rachinger.
Die Schau „Nacht über Österreich“ stellt 15 Schicksale von vertriebenen Kunstschaffenden in den Vordergrund. Es sei wichtig, „solange es Ewiggestrige gibt, die leugnen, dass es KZ gegeben hat“ weiterhin auf das dunkle Kapitel Österreichs hinzuweisen. „Es ist alles hässlich und unerträglich. Die Eltern sitzen im Feuer. Der Teufel regiert“, schreibt etwa die nach England emigrierte Schriftstellerin Hilde Spiel am 13. März 1938 in ihren Kalender, der in der Ausstellung in einer Vitrine liegt.
Zahlreiche andere Dokumente, Urkunden und Briefe zeichnen den auf den „Anschluss“ folgenden Nazi-Terror, Flucht und Vertreibung nach. Passend zum Jahrestag erneuert die Direktorin auch eine seit langem geäußerte Forderung – einen Bücherspeicher unter dem Heldenplatz: „Dort ist der Mensch gestanden, der Bücher verbrennen ließ, deshalb ist es ein gutes Zeichen, das Gedächtnis der Republik dort hinzubringen.“
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