Österreich: Kanzlers Konservative vor dem Absturz

Am Sonntag wählt Tirol einen neuen Landtag. Der ÖVP, die seit 1945 ununterbrochen regiert, droht ein Debakel.
Stephan Kabosch
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Anton Mattle (ÖVP) ist der Tiroler Landeshauptmann. Er wirft Herbert Kickl (FPÖ) vor, dem Wipptal "in der Transitfrage Sand in die Augen gestreut" zu haben.
Anton Mattle (ÖVP) ist der Tiroler Landeshauptmann. Er wirft Herbert Kickl (FPÖ) vor, dem Wipptal "in der Transitfrage Sand in die Augen gestreut" zu haben. © Foto: Expa/Johann Groder/APA/dpa

Wien - Bis zu 20 Prozent könnten die Konservativen in ihrer einstigen Hochburg einbüßen: In Österreich droht der konservativen ÖVP von Kanzler Karl Nehammer am Sonntag bei der Landtagswahl in Tirol eine üble Wahlschlappe - und damit die Ankunft in der Normalität.

"Wir regieren seit dem Zweiten Weltkrieg dieses Land. Uns gehört die Tiwag, uns gehört die Wohnbauförderung, uns gehört die Hypo Bank." Franz Hörl, der Seilbahn-Zampano und Abgeordnete zum Bundesparlament in Wien, ist bekannt für seine markigen Sprüche. Aber diesmal legte er damit zugleich das hybrishafte Selbstmissverständnis der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) offen. Denn das Energieunternehmen Tiwag und die Hypo stehen zu 100 Prozent im Eigentum des Landes. Und auch die Wohnbauförderung "gehört" nicht der Partei, sondern zu den Aufgaben der Regierung.

Partei und Land untrennbar miteinander verbunden?

Nicht nur Hörl setzt die seit 1945 ununterbrochen regierende ÖVP mit Tirol gleich. Die Partei und das Land also untrennbar miteinander verbunden? Es stimmte ja lange Zeit auch. Mit ihren Teilorganisationen, den Bünden für Bauern, Wirtschaft sowie Arbeiter und Angestellte, war die Volkspartei in praktisch jedem Winkel der Gesellschaft vertreten.

Doch schon länger bröckelt dieses Naturgesetz einer Sonderstellung. Das mag mit dem Zeitgeist zu tun zu haben, wenn selbst in Bayern die CSU ihre Alleinherrschaft eingebüßt hat. Es hat auch zu tun mit dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel, der später als andernorts eingesetzt hat, inzwischen aber dazu führt, dass die größeren Städte des Landes andere regieren.

Die Gründe für den Niedergang der ÖVP liegen auch darin, dass viele Menschen im Land diese Gleichsetzung satthaben, die Verflechtung zwischen Partei und Wirtschaft mit ihrer Pfründe- und Postenpolitik - und dass es mehr Alternativen als früher gibt.

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Überraschend ist bei all dieser Entwicklung nicht, dass der Einfluss der ÖVP nach und nach schwindet. Es ist schon eher ein Wunder, dass sie sich so lange halten konnte. Mittlerweile aber ist das "System Tirol am Ende", wie der Politik-Berater Peter Plaikner meint. Die ÖVP habe kein Gespür mehr für Unvereinbarkeiten. "Man nimmt, was man kriegen kann", sagt Plaikner. Auf diese "Gier" würden die Wähler reagieren.

Dazu kommen zahlreiche Pannen im Wahlkampf, in dem es neben Wolf-Abschüssen um die Corona-Politik und die Folgen der Teuerung ging. Die schwerste davon war sicherlich, dass Langzeit-Ministerpräsident Günther Platter im Juni als Parteichef zurückgetreten ist, seinen Nachfolger Toni Mattle aber nicht gleich auch zum Landeshauptmann machte. Und Mattle beging auch eigene Fehler, fiel mit unglücklichen Aussagen etwa zur Sanktionspolitik gegenüber Russland oder zum Klimabonus für Asylbewerber auf. Könnte man den Landeshauptmann direkt wählen, nur 21 Prozent stimmten für den Mann aus Galtür.

Das muss die erfolgsverwöhnte Volkspartei vor dem Wahlabend zittern lassen. Nach zuletzt 44 Prozent 2018 droht der ÖVP ein Desaster. In den Umfragen liegt die Partei im Mittel bei rund 33 Prozent. Selbst ein Absturz auf 25 ist nicht auszuschließen. In diesem Szenario wäre rechnerisch sogar eine Regierung ohne die ÖVP möglich.

Ob es für eine Zweierkoalition mit der SPÖ reicht, ist fraglich

Doch daran denkt niemand ernsthaft. Die ÖVP wird, wenn auch deutlich geschwächt, an der Macht bleiben und Toni Mattle neuer Regierungschef. Dann vermutlich nicht weiter mit den Grünen, denen ebenfalls Verluste drohen. Ob es für eine Zweierkoalition mit der SPÖ reicht, ist fraglich, weil die Stimmenverluste der ÖVP wohl den kleineren Parteien zufallen werden. Da keiner mit der FPÖ, die in Umfragen mit rund 20 Prozent etwa gleichauf mit der SPÖ liegt, ein Bündnis eingehen will, könnte als einzige Option eine Dreierkoalition bleiben. Das wäre aus Sicht des Innsbrucker Politologen Ferdinand Karlhofer ein "Kulturschock", zugleich aber auch ein weiterer Schritt in Richtung Normalität.

Vielleicht ist es ja auch diese Normalität, die Mattle meint, wenn er eine Anekdote aus dem Wahlkampf erzählt. Da sei eine Frau auf ihn zugegangen, als er sich gerade eine kulinarische Abkühlung gönnte. Ganz überrascht soll sie gesagt haben: "Der isst das Eis wie ein Normaler."

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  • Andi K. am 24.09.2022 10:10 Uhr / Bewertung:

    Zweierkoalition mit der SPÖ? Damit wird sich am politischen Sumpf nichts ändern, dafür gibt in Österreich den Proporz.

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