NS-Aufarbeitung: Lob für Deutschland
Nazi-Jäger Efraim Zuroff attestiert eine „monumentale“ Veränderung in der deutschen Anklagepolitik gegen NS-Verbrecher. Österreich wird wegen „minimaler Anstrengungen“ kritisiert
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum hat in seinem neuen Jahresbericht Deutschland erstmals die Note „sehr gut“ für die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechern gegeben. „Es gibt eine monumentale und höchst bedeutsame Veränderung in der deutschen Anklagepolitik“, sagte der Leiter des Jerusalemer Zentrums, Efraim Zuroff.
Mit Deutschland habe erstmals ein zweites Land gemeinsam mit den Vereinigten Staaten die Bestnote erhalten. Dagegen bekam Österreich vom Nazi-Jäger Zuroff wegen „minimaler Anstrengungen bei der Untersuchung von Nazi-Kriegsverbrechen“ nur ein „ausreichend“.
Auf der neuen Liste der zehn meistgesuchten Nazi-Kriegsverbrecher steht jetzt erstmals der 95 Jahre alte Sandor Kepiro an erster Stelle. Der ehemalige ungarische Polizeioffizier wird beschuldigt, an der Ermordung von mehr als 1200 Zivilisten im Januar 1942 im serbischen Novi Sad beteiligt gewesen zu sein.
Neu in der Liste tauchen die beiden Deutschen Samuel Kunz und Adolf Storms an dritter und vierter Stelle auf. Kunz soll am Massenmord an Juden im ehemaligen deutschen Vernichtungslager Belzec im damals besetzten Polen beteiligt gewesen sein. Das ehemalige SS-Mitglied Storms wird verdächtigt, an der Tötung von 58 jüdischen Zwangsarbeitern im März 1945 im österreichischen Dorf Deutsch Schützen teilgenommen zu haben (siehe unten).
Zuroff lobte die jüngsten Anstrengungen Deutschlands bei der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Kriegsverbrechen. „Deutschland ist nicht perfekt, aber es tut viel mehr als es im vergangenen Jahrzehnt getan hat“, sagte der Nazi-Jäger. „(John) Demjanjuk wurde in München vor Gericht gestellt.“ Auch sei es im Fall Heinrich Boere zu einem Urteil gekommen. Der SS-Killer Boere, der lange auf der Wiesenthal-Liste weit oben stand, war im März im Alter von 88 Jahren wegen Mordes an Zivilisten zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
„Deutschland ist jetzt auch bereit, Nicht-Deutsche strafrechtlich zu verfolgen, was in der Vergangenheit nicht der Fall war. Es besteht auch die Bereitschaft, Personen unterhalb des Offiziers-Dienstgrades anzuklagen. Das eröffnet ein gewaltiges Potenzial für neue Gerichtsfälle“, sagte Zuroff. Seit Januar 2001 wurden laut dem Bericht weltweit 77 mutmaßliche Nazi-Verbrecher angeklagt. Nicht das hohe Alter sei die größte Hürde für eine Strafverfolgung, sondern in vielen Fällen der mangelnde politische Willen, heißt es in dem Bericht. Die Veröffentlichung des neuen Jahresberichts fiel mit dem Holocaust-Gedenktag in Israel zusammen. Am sogenannten Jom ha-Schoah gedenkt Israel jedes Jahr mit zwei Schweigeminuten der sechs Millionen Juden, die während der NS-Zeit getötet worden waren.
In Israel leben heute noch mehr als 200000 Holocaust- Überlebende. Das Wiesenthal-Zentrum ist mit der weltweiten Suche nach untergetauchten Nazi-Verbrechern und Kollaborateuren bekannt geworden. Die 1977 gegründete Menschenrechtsorganisation hat ihren Hauptsitz in Los Angeles.
Das Zentrum ist nach dem österreichischen Juden Simon Wiesenthal (1908 bis 2005) benannt, der viele Angehörige während des Holocaust verloren und deshalb nach dem Zweiten Weltkrieg weltweit nach Nazi-Tätern geforscht hatte. Das Wiesenthal Zentrum kämpft aber auch weltweit gegen Rassismus, Anti-Semitismus, Terrorismus und Völkermord. da
Diese mutmaßlichen Täter wurden nie belangt
1. Sandor Kepiro: Er steht erstmals an erster Stelle der Liste des Wiesenthal-Zentrums. Der ehemalige ungarische Polizeioffizier ist heute 95 und wird beschuldigt, 1942 im serbischen Novi Sad an der Ermordung von mehr als 1200 Zivilisten teilgenommen zu haben. Dafür wurde er von der ungarischen Justiz verurteilt. Der Prozess fand während des Zweiten Weltkriegs statt, nach der Besetzung durch deutsche Truppen kam er frei. Kepiro lebte lange in Argentinien, jetzt wieder in Budapest. Es laufen Ermittlungen.
2. Milivoj Asner: Der heute 96 Jahre alte ehemalige Polizeichef in Kroatien soll aktiv an der Verfolgung und Deportation hunderter Serben, Juden, Sinti und Roma beteiligt gewesen sein. 2005 wurde er in Kroatien wegen Kriegsverbrechen angeklagt, woraufhin er nach Österreich floh. Er gilt als verhandlungsfähig.
3. Samuel Kunz: Er wird der Teilnahme am Massenmord an Juden im ehemaligen deutschen Vernichtungslager Belzec im besetzten Polen beschuldigt. [HERVORHTEXT]4. Adolf Storms[/HERVORHTEXT]: Der ehemalige SS-Unteroffizier soll im März 1945 am Mord an 58 jüdischen Zwangsarbeitern in Österreich beteiligt gewesen sein.
4. Adolf Storms: Der ehemalige SS-Unteroffizier soll im März 1945 am Mord an 58 jüdischen Zwangsarbeitern in Österreich beteiligt gewesen sein.
5. Klaas Carl Faber: In den Niederlanden für den Tod von Gefangenen im Transitlager Westerbork und dem Gefängnis von Groningen 1944 zum Tode verurteilt, 1948 wurde die Strafe in Lebenslang umgewandelt. Flucht aus dem Gefängnis 1952. Er lebt in Ingolstadt.
6. Karoly (Charles) Zentai: 1944 nahm er am Mord an Juden in Budapest teil. Ungarn hat 2005 die Auslieferung beantragt. Er lebt in Australien, sein Einspruch wird gerade verhandelt. In einer Sonderkategorie wird nach wie vor nach Alois Brunner gesucht. Er war die rechte Hand Adolf Eichmanns und soll für den Tod von 130.000 Menschen verantwortlich sein. Womöglich lebt er noch.
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