Nervenkrieg auf der Krim: Russland stimmt für Militäreinsatz
Nach dem Machtwechsel droht der Ukraine die Abspaltung der russisch geprägten Krim. Kremlchef Putin stimmt einem Militäreinsatz zu – bis sich die Lage auf der Halbinsel normalisiert hat, so die Lesart in Moskau.
Simferopol/Moskau - Russland setzt auf volle Konfrontation: Moskau hat angesichts der wachsenden Spannungen um die Schwarzmeer-Halbinsel Krim einen Militäreinsatz in der Ukraine erlaubt. Kremlchef Wladimir Putin sprach am Samstag angesichts der „außergewöhnlichen Situation“ auf der Krim von der Notwendigkeit, die russischen Bürger sowie die dort stationierten Streitkräfte zu schützen. Das teilte die Präsidialverwaltung der Agentur Interfax zufolge mit.
Präsident Putin hatte den Föderationsrat um Erlaubnis für den Einsatz der Streitkräfte gebeten. Der Einsatz sei so lange nötig, bis sich die Lage normalisiert habe. Das russische Oberhaus trat für die Intervention ein, um Blutvergießen zu verhindern. Eine offizielle Reaktion aus Kiew blieb zunächst aus.
Zuvor hatte Föderationsratschefin Valentina Matwijenko gesagt, dass der Einsatz eines begrenzten Kontingents an Streitkräften möglich sei. Um welche Truppenstärke es sich handelte, war zunächst nicht klar. Der Föderationsrat kam am Abend in Moskau zu einer Debatte zusammen, um Details des Einsatzes zu besprechen und darüber formell abzustimmen.
Russland hat in der Krim-Stadt Sewastopol seine Schwarzmeerflotte stationiert. Die Erlaubnis eines Militäreinsatzes könnte sich auf dieses Kontingent beziehen, nähere Angaben dazu gab es aber zunächst nicht. Ukrainische Behörden hatten zuvor behauptet, es seien 2000 russische Soldaten auf der Krim gelandet. Eine Bestätigung gab es dafür aber nicht.
Der Chef der Staatsduma, Sergej Naryschkin, sowie der Krim-Regierungschef Sergej Aksjonow hatten zuvor ein Gesuch um Beistand an Putin gerichtet. Der Kreml hatte zunächst nur mitgeteilt, das Ersuchen von Aksjonow zu prüfen. Die russische Militärdoktrin erlaubt den Einsatz von Streitkräften im Ausland zum Schutz eigener Bürger.
Es seien Schritte für eine Stabilisierung der Lage auf der Krim nötig, sagte Parlamentschef Naryschkin. „Die Abgeordneten rufen den Präsidenten auf, (...) alle zur Verfügung stehenden Mittel für den Schutz der Bevölkerung auf der Krim vor Willkür und Gewalt zu gewährleisten“, sagte Naryschkin.
Russland verurteilte einen gewaltsamen Versuch, das Gebäude des Innenministeriums in der Krim-Hauptstadt Simferopol zu stürmen. Die ukrainischen Truppen wurden zurückgedrängt. Es habe Verletzte gegeben, teilte das Außenministerium in Moskau mit. Das Ministerium zeigte sich in einer Mitteilung „äußerst besorgt“.
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Der moskautreue Krim-Regierungschef Aksjonow übernahm vorübergehend die Befehlsgewalt in der Autonomen Republik. Er rief Kremlchef Putin um Beistand für Ruhe und Frieden an. Zugleich zog die prorussische Führung in Simferopol ein Referendum über die Zukunft der Autonomen Republik um zwei Monate auf den 30. März vor. Es war zunächst für den 25. Mai geplant gewesen.
Grund für die Vorverlegung sei die zunehmende Verschlechterung der Lage auf der Halbinsel, sagte Aksjonow. „Der Konflikt ist über die Grenzen des Vernünftigen hinausgegangen“, sagte er. Das Datum sei aber weiterhin nur vorläufig – und abhängig von der Entwicklung.
In einer öffentlichen Erklärung sagte Aksjonow, die Truppen des Innenministeriums, des Geheimdienstes SBU sowie die Flotte, der Zivilschutz und andere Dienste hätten nun seinem Kommando zu folgen. „Wer nicht einverstanden ist, den bitte ich, den Dienst zu verlassen“, sagte er. Nach der Befehlsübernahme von Aksjonow war die Lage zunächst ruhig.
Der prorussische Regierungschef warf der ukrainischen Zentralregierung vor, die Verfassung der Autonomen Krim-Republik zu verletzen. So sei ohne Mitsprache der Krim-Führung etwa ein neuer Polizeichef ernannt worden, kritisierte der Politiker. Ihm wurde der Zugang zur Behörde in Simferopol verweigert.
Der neue ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk forderte Russland auf, seine Truppen von der Krim abzuziehen. Es gebe gegenwärtig einen „unzulässigen Aufenthalt“ russischer Soldaten auf der Krim. Die Ukraine werde auf Provokationen nicht mit Gewalt reagieren, sagte Jazenjuk. Der Luftraum über Simferopol war weiter gesperrt, hieß es.
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In mehreren russischsprachigen Regionen der Krim gab es am Samstag Proteste gegen die neue Regierung in Kiew, teils mit schweren Handgemengen. In der Stadt Charkow besetzten prorussische Kräfte das Gebäude der Gebietsverwaltung, Aktivisten hissten auf dem Gebäude die russische Flagge sowie die Fahne von Charkow. Die Polizei schritt nicht ein.
Eine Woche nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch hat sich die Krise in der vor dem Staatsbankrott stehenden Ex-Sowjetrepublik damit weiter verschärft. Interimspräsident Alexander Turtschinow hatte davor gewarnt, dass Russland eine Annexion der Krim plane. Der sowjetische Kremlchef Nikita Chruschtschow hatte die Krim 1954 an seine ukrainische Heimat verschenkt. Bis heute wohnen dort mehrheitlich Russen.