Merkels Friedensmarathon: Mehr als Flugmeilen
Seit Tagen jettet die Bundeskanzlerin durch die Welt, um in der Ukrainekrise zu vermitteln. Ohne Ergebnisse, ätzen Kritiker. Zu Unrecht, findet AZ-Vize Timo Lokoschat.
Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Element: Zögern, abwarten, auf Zeit spielen. Das, was innenpolitisch viele Beobachter an der Kanzlerin nervt, könnte außenpolitisch genau die richtige Taktik sein – auch wenn es den Hardlinern auf allen Seiten nicht passt: nicht den republikanischen Falken in den USA, nicht den traditionell (und aus verständlichen Gründen) russlandkritischen Osteuropäern, nicht Poroschenko und Jazenjuk, nicht den Militärs in Moskau und auch nicht den Waffennarren in Donezk.
Was denn Zählbares herauskomme bei ihrer Pendeldiplomatie, abgesehen von imaginären Bonusmeilen, ätzen schon die ersten. Nun, zählbar wären wohl vor allem die Toten, wenn sich die Schnellschuss-Fraktion durchsetzt.
Merkel nutzt geschickt den Einfluss, den sie als einzige westliche Politikerin noch auf Putin hat. Der Kremlherr weiß: Verliert er sie als Ansprechpartnerin, bekommt er es mit anderen Kalibern zu tun. Die Kanzlerin agiert, wie in Berlin, als Realpolitikerin; nicht getrieben von Ideologien, sondern vom Machbaren – und einer Gewissheit: dass ein offener Krieg mit Russland Europa ins Verderben führen würde.
Merkels diplomatischer Drahtseilakt verdient Respekt. Über die Innenpolitik kann man sich ja bisweilen trotzdem aufregen.
- Themen:
- Wladimir Wladimirowitsch Putin