Merkel oder Seehofer - Mehrheit der Staatschefs steht zur Kanzlerin

Erstaunt und irritiert registrieren die Partner die eskalierende Regierungskrise. Die Mehrheit der Staatschefs steht zur Kanzlerin – weil sie erst jetzt verstehen, was die Pläne des CSU-Chefs bedeuten.
von  Detlef Drewes
Bei vielen Europa-Politikern ist Merkel wegen ihrer Pro-EU-Haltung beliebt. Seehofers Ansehen in Europa schwindet – vermehrt auch bei ihm wohlgesinnten Partnern wie Sebastian Kurz.
Bei vielen Europa-Politikern ist Merkel wegen ihrer Pro-EU-Haltung beliebt. Seehofers Ansehen in Europa schwindet – vermehrt auch bei ihm wohlgesinnten Partnern wie Sebastian Kurz. © dpa

Berlin - Für einen Augenblick schien Bundeskanzlerin Angela Merkel am Wochenende entzaubert. Mit Ungarn, Tschechien und der Slowakei widersprachen die Regierungschefs von drei EU-Ländern der Darstellung, sie hätten Vereinbarungen über die Rücknahme von abgewiesenen Flüchtlingen geschlossen.

Die Aufregung dauerte nur kurz, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel gar nicht von "Vereinbarungen", sondern von Absprachen geredet hatte. Und die gab es durchaus. Der Protest aber steht für die Stimmung in den europäischen Mitgliedstaaten: Niemand will sich – zur Vorsicht – in die bundesdeutsche Regierungskrise einmischen.

Östereichischer Kanzler Kurz stellt sich hinter Dubliner Abkommen

Nicht einmal Sebastian Kurz, österreichischer Kanzler. Zwar hatte er noch vor Kurzem bei einem Besuch in München den engen Schulterschluss mit Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gesucht und dessen Linie "Es kann nicht sein, dass Flüchtlinge quer durch Europa ziehen" geteilt. Das klang beim EU-Gipfel Ende vergangener Woche deutlich zurückhaltender. Dort stellte Kurz sich überraschend auf die Seite des Dubliner Abkommens – "solange es nichts Besseres gibt".

"Kurz wird wohl gemerkt haben, dass Seehofers Plan, Ankommende zurückzuweisen, nur dazu führt, dass Österreich sie an der Backe hat – inklusive derer, die aus Italien kommen", sagte gestern ein hochrangiger EU-Diplomat. Seiner Einschätzung nach liegt darin auch der Grund dafür, dass sich die Visegrád-Staaten, die jede Aufnahme von Flüchtlingen ablehnen, doch zu den Beschlüssen des EU-Gipfels bekannten.

Staatschefs von Ungarn, Slowakei und Tschechien stehen hinter Merkel

Von einem konsequenten Durchgreifen der deutschen oder bayerischen Grenzpolizei gegen bereits registrierte Migranten wären sie unmittelbar betroffen. Ob Viktor Orbán (Ungarn), Peter Pellegrini (Slowakei) oder Andrej Babis (Tschechien) – plötzlich standen sie, die eher auf der scharfen Seehofer-Linie argumentiert hatten, beim Gipfel an der Seite der Kanzlerin. "Der gefundene Kompromiss befriedigt jeden, weil er dazu führt, dass Flüchtlinge erst gar nicht in die EU kommen – es sei denn, ihr Asylanspruch wurde geprüft", hieß es gestern aus den höheren Etagen der EU-Kommission. Merkel habe "mit ihren Appellen für einen gemeinsamen Weg jeden nationalen Alleingang obsolet gemacht." Und damit Seehofers Vorhaben ausgehebelt.

Seehofer fehlt ein "europäisches Netzwerk"

Allzu groß ist das Ansehen des CSU-Vorsitzenden in der EU-Metropole ohnehin nicht. Horst Seehofer hat über Jahre hinweg Brüssel mit Nichtbeachtung gestraft und ließ sich auch seit seiner Amtsübernahme als Bundesinnenminister bei den wichtigen Treffen mit den europäischen Amtskollegen vertreten.

Ihm fehlt, so bestätigte ein deutscher EU-Politiker, "ein Netzwerk, um sich auch auf europäischer Ebene Gehör zu verschaffen". Er habe "kein Gewicht auf dieser Ebene". Merkel agierte laut vieler Amtskollegen "durchaus geschickt", wie es einer der Regierungschefs nach dem Gipfel ausdrückte. Sie sei eben ganz die europäisch-denkende deutsche Kanzlerin gewesen. "Auch wenn der Weg, den die EU jetzt gehen will, schwer sein wird – es ist immerhin ein Weg."

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