Merkel in der KZ-Gedenkstätte: Schaler Beigeschmack
Aufrichtiges Gedenken und aufgesetzte Empörung – in einer Stunde: AZ-Chefreporter Matthias Maus über Merkels Besuch in Dachau
Hinter allen guten Dingen, weiß die Lebensweisheit, stecken Absichten. Soll man deshalb gute Dinge unterlassen, nur weil daraus auch anderweitig Kapital geschlagen werden kann? Sollte Bundeskanzlerin Angela Merkel also nicht in die Gedenkstätte des KZ Dachau fahren, mitten im Wahlkampf?
Auch wenn ihre Vorgänger – bis auf Kurt Georg Kiesinger – über alle Zweifel erhaben sind, so ist es doch verwunderlich, dass Merkel die erste bundesdeutsche Regierungschefin ist, die diese Stätte des Grauens besucht. Diese Premiere ist löblich. Und niemand würde erwarten, dass Merkel an diesem Schandmal menschlicher Grausamkeit die falschen Worte finden würde. Dafür ist sie diplomatisch zu trittsicher.
Und dennoch bleibt ein schaler Beigeschmack. Die Widersprüche der deutschen Geschichte zwischen Massenvernichtung und Bierzelt sind eine Tatsache. Es ist aber die Frage, ob die Referenz für Zehntausende Tote zwischen zwei Johl- und Kampf-Termine passen müssen.
Zwischen der Abfahrt aus der Gedenkstätte und der Blaskapelle im Zelt liegen gerade mal 15 Minuten. Kann man so schnell umschalten von aufrichtigem Gedenken zu aufgesetzter Empörung über die Tunichtgute vom politischen Gegner? Niemand hätte der Kanzlerin verübelt, wenn sie unter Hinweis auf den derben Charakter dieser Auftritte den Besuch in Dachau für einen späteren Zeitpunkt sicher zugesagt hätte. Die Gelegenheit hat Merkel verpasst.
- Themen: