Mann von gestern
Nach der Begnadigung von Michail Chodorkowski: Der Chefreporter der Abendzeitung, Matthias Maus, über Humanität à la Putin.
Wie kann man sich nicht freuen darüber, dass ein Sohn noch einmal seine sterbenskranke Mutter sehen kann? Schön für Michail Chodorkowski, dass er endlich begnadigt wird. Und doch ist der scheinbar so humane Akt von Wladimir Putin das Gegenteil einer großmütigen Geste. Es ist eine kalte, berechnende Machtdemonstration.
Der Kreml-Herr handelt nach Gutsherren-Art, er gibt sich nicht einmal die Mühe, seine Motive zu verschleiern. Bald sind die Olympischen Spiele in Sotschi, und das Gastgeberland verströmt den Charme von Stacheldraht in Sibirien. In der Vorweihnachtszeit die Aktivistinnen von Pussy Riot auf freien Fuß setzen, die Greenpeace-Aktivisten und dann noch seinen ärgsten Widersacher: Das sieht doch gut aus! Sieht es nicht.
Putin herrscht in einem Staat, der Umweltaktivisten und Homosexuelle kriminalisiert, der junge Künsterinnen ins Arbeitslager sperrt und politische Gegner so lange mit Prozessen überzieht, bis sie sich demütigen lassen. „Selbstkritik“, hieß das in der Sowjet-Zeit, Putins russische Staatsmacht hat ihr Handwerk nicht verlernt.
Es ist ein entwürdigendes Schauspiel, und es kann einem angst und bange werden. In der Ukraine versucht der Kreml, das Rad der Geschichte wieder zurückzudrehen. Sowjet-Träume werden mit Sowjet-Methoden verfolgt. Putin versucht sich als starker Mann. Wie lange das Erfolg hat, ist unklar. Klar ist: Ein Mann von gestern ist er schon jetzt.
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