Machtübergabe in Russland: Pompöser Höhepunkt eines Intrigenspiels

Dmitri Medwedew ist im Kreml vereidigt worden. Der 42-Jährige ist Nachfolger von Wladimir Putin, der neuer Regierungschef wird und mächtiger denn je: Er befreite sein künftiges Amt von lästigen Aufgaben, erweiterte es um Vollmachten und ließ sich zum „nationalen Führer“ ausrufen.
MOSKAU Heute ist der große Tag des Dmitri Medwedew: Der 42-Jährige hat Wladimir Putin als russischen Präsidenten abgelöst und ist im Kreml vereidigt worden. Sein Aufstieg liest sich wie ein russischer Historien-Roman aus dem 19. Jahrhundert: Ein junger Anwalt im Dienst eines mächtigen Mannes steigt in einem byzantinischen Intrigenspiel zum Herrscher Russlands auf. Der pompösen Amtseinführung von Russlands drittem Präsidenten – dem jüngsten Staatsoberhaupt seit Zarenzeiten – werden im Kreml 2000 Gäste beiwohnen. „Es ist der Tag, der in die Lehrbücher eingeht“, jubelt die „Komsomolskaja Prawda“. Am Dienstag erhielt der Noch-Vizeregierungschef schon mal eine Einweisung im Umgang mit dem Atomkoffer – als Kreml-Boss ist er auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte.
Heute wählt die Duma Wladimir Putin zum neuen Regierungschef – der 55-Jährige dürfte der mit Abstand mächtigste Premier aller Zeiten werden. Abgeschlossen wird die bombastische Inszenierung der „Operation Machtübergabe“ schließlich am Freitag mit einer Militärparade zum Tag des Sieges über Hitler-Deutschland, wie sie Moskau seit Sowjetzeiten nicht mehr erlebt hat. Die Streitkräfte werden bei der Parade auf dem Roten Platz erstmals seit zwei Jahrzehnten wieder schwere Panzer und Raketen mit Nuklearsprengköpfen präsentieren. Damit soll laut Putin „die Verteidigungskraft eines wirtschaftlich erstarkten und selbstbewussten Landes“ demonstriert werden. Übrigens rechnet die Moskauer Stadtverwaltung mit Straßenschäden in Höhe von über 40 Millionen Euro. 900000 Quadratmeter Straßenbelag müssten erneuert werden, nachdem die Panzer darübergedonnert sind.
Wild spekuliert wird in Russland über die künftige Machtaufteilung zwischen Medwedew und Putin. Die Mehrheit der Polit-Auguren geht davon aus, dass sich die Entscheidungshoheit vom Kreml in das Weiße Haus verlagert, wo die Regierung sitzt. „Wenn Putin umzieht, nimmt er die Macht mit und schwächt den Präsidenten“, kommentierte die regierungskritische „The New Times“. Bis zur letzten Minute habe Putin seine Machtfülle als Präsident genutzt: Er befreite sein künftiges Amt von lästigen Aufgaben, erweiterte es um Vollmachten und stellte personelle Weichen. Zudem ließ sich der Ex-Geheimdienstchef zum „nationalen Führer“ ausrufen und zum Chef der Partei Geeintes Russland küren.
Medwedew dagegen raspelte zuletzt jede Menge Süßholz: Obwohl er unabhängige Medien, ein Justizwesen ohne Willkür und harte Korruptionsbekämpfung versprochen hat, schrillen bei der Opposition die Alarmglocken: „Dem liberalen Wortgeklingel stehen autoritäre, despotische Handlungen gegenüber“, sagt der Abgeordnete Wladimir Ryschkow. Und Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow hält Medwedews sanfte Töne für Blendwerk: „Putin hat Medwedew als liberales Gesicht für den Westen ausgewählt, damit Russland dort an Vertrauen gewinnt und sein Kapital platzieren kann.“