Leben mit dem Virus

Am 1. Dezember ist Welt-Aidstag. In München leben rund 5000 Infizierte. Drei Betroffene. erzählen: Pauline (46) wurde von ihrem untreuen Mann angesteckt, Tatjana (42) ist Mutter eines gesunden Babys, Christian (27) hat gerade von seiner Infektion erfahren.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Pauline, Christian und Tatjana
Petra Schramek Pauline, Christian und Tatjana

Am 1. Dezember ist Welt-Aidstag. In München leben rund 5000 Infizierte. Drei Betroffene. erzählen: Pauline (46) wurde von ihrem untreuen Mann angesteckt, Tatjana (42) ist Mutter eines gesunden Babys, Christian (27) hat gerade von seiner Infektion erfahren.

Als Pauline zum Arzt ging und nach einem HIV-Test verlangte, sagte der Doktor zu der verheirateten Frau: „Hatten Sie Sex mit einem Afrikaner?“ Hatte sie nicht. Sie hatte nur Sex mit ihrem Mann. Trotzdem kam für Pauline die Diagnose: HIV-positiv. „Das war 1995“, sagt Pauline. Sie spricht sehr leise, muss immer wieder Pausen machen. Die 46-jährige ist schwer krank, ihr Köper ist abgemagert, beim Gehen muss sie gestützt werden. „Mein Mann hatte mir seine Infektion verschwiegen“, sagt sie. Er war fremdgegangen, wusste bereits, dass er infiziert ist, trotzdem schwieg er. Fünf Jahre lang. Erst als er erkrankte, sagte er seiner Frau Bescheid. „Das war ein extremes Gefühl von Verratenwerden“, sagt sie.

Sie ist eine von rund 5000 Menschen, die in München mit HIV leben. Heute stecken sich jährlich rund 100 Menschen in München neu an. Paulines Leben änderte sich von einem Tag auf den anderen. Sie war Anfang dreißig, wollte immer Kinder haben. „Das musste ich mir abschminken.“ Anfangs arbeitet sie weiter als Krankenschwester. Bis ihr Arbeitgeber einen „freiwilligen“ HIV-Test von den Mitarbeitern fordert. „Das ist eigentlich illegal“, sagt Michael Tappe von der Münchner Aidshilfe. „Trotzdem wird es immer wieder verlangt.“ Pauline entzog sich. „Ich habe gekündigt. Mir war klar, dass ich als Krankenschwester nie wieder werde arbeiten können.“

Pauline pflegte ihren Mann, obwohl er ihr seine Infektion fünf Jahre verschwieg

Mit ihrem Mann hat Pauline nie über den Vertrauensbruch gesprochen. Verlassen hat sie ihn auch nicht. Sie pflegte ihn bis zu seinem Tod im Jahr 2000. „Es klingt vielleicht komisch: Ich dachte irgendwie, dass ich bestraft werde, wenn ich ihn verlasse. Heute würde ich das nicht mehr tun.“ HIV muss heute nicht mehr tödlich sein. Mit modernen Artzney kann der Virus in Schach gehalten werden (siehe Kasten). Trotzdem verschweigen viele Betroffene ihre Infektion.

Tatjana hat es drei Jahre lang nur ihrer besten Freundin erzählt. Dann kamen die Eltern und andere Freunde. „Heute gehe ich sehr offen damit um“, sagt die 42-Jährige. Einen Job hat die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin trotzdem nicht. „Wenn du beim Vorstellungsgespräch sagst, dass du positiv bist, kommt große Betroffenheit. Nur eingestellt wirst du halt nicht.“ Auch Tatjana hat sich bei ihrem Mann angesteckt. Er war in jungen Jahren drogenabhängig. Als er eine Lungenentzündung bekommt, er vom HIV-Infizierten zum Aids-Patienten wird, ist sie längst auch positiv. Das war 1994. „Bis dahin dachte ich: Das ist doch so eine Schwulenseuche, damit habe ich nichts zu tun.“

Tatjana bekam ihr Kind per Kaiserschnitt

Tatjana hat ihren Mann gepflegt, bis zu seinem Tod. „Du siehst täglich: Das ist auch mein Ende. Aber die Seele schützt sich durch Verdrängen. Sonst würde man das gar nicht aushalten.“ Freunden hat sie damals nicht gesagt, woran ihr Mann gestorben ist. Jahrelang ist sie depressiv, nur durch therapeutische Hilfe wendet sie sich dem Leben langsam wieder zu. „Ich musste erst wieder lernen, dass ich auch etwas wert bin“, sagt sie. Tatjana nimmt seit 1999 Artzney, seitdem leidet sie an chronischem Durchfall. „Das ist lästig, aber man kann damit leben.“

Heute ist Tatjana eine glückliche Frau. Sie und ihr ebenfalls HIV-positiver Mann haben vor zehn Monaten Sohn Raphael bekommen. „Dass ich noch Mutter werde, hatte ich schon abgehakt“, sagt sie. Die Medizin macht es möglich, dass Raphael gesund ist. Mit Hilfe der Artzney wurden die Viren sowohl bei ihr als auch bei ihrem Mann so reduziert, dass das Risiko, ein infiziertes Kind zu bekommen, sehr, sehr gering ist. Das Baby kam per Kaiserschnitt auf die Welt, stillen durfte Tatjana nicht.

Jetzt, als Mutter, überlegt sie wieder neu, wem sie sich offenbart. Soll sie später im Kindergarten Bescheid sagen? Nur der Kindergärtnerin oder auch anderen Eltern? Und was bedeutet das für Ihren Sohn? >Immer wieder erlebt sie die irrationale Angst der Mitmenschen. Nach der Geburt war sie separiert – nicht auf der Station mit den anderen Müttern. Die Schwestern fassten ihr Kind – obwohl völlig unnötig – nur mit Handschuhen an. Auch in ihrer Familie ist das Thema tabu. „Meine Geschwister lieben mich, aber das Wort Aids spricht niemand aus.“

"Am meisten bin wütend auf mich selbst", sagt Christian

Für Christian ist das alles Neuland. Im Sommer hat der 27-Jährige erfahren, dass er infiziert ist. Er saß im Biergarten, als der Anruf vom Blutspendedienst kam, für den er gespendet hatte. „Natürlich wusste ich als schwuler Mann von den Risiken“, sagt er. Er kannte den Mann, der ihn ansteckte, mehr oder weniger flüchtig, ein paar Mal waren sie zusammen, einmal ungeschützt. „Am meisten bin ich wütend auf mich selbst.“

Außer Christians Partner und einer Freundin weiß niemand Bescheid. „In der Arbeit könnte ich das nie erzählen“, sagt der Handwerker. Auch die Eltern wissen nichts. „Das wäre eine zu große Belastung für meine Mutter“, meint er. Er kommt vom Land, schon sein Outing war für die Mutter schwierig. „Natürlich war ihre größte Angst, dass ich Aids bekommen könnte“, sagt er und schweigt. Aufmerksam hört er Pauline zu, schaut sich die gebrechliche Frau genau an. „Ich habe so jemanden bisher noch nie gesehen“, sagt er ganz leise.

"Mein Mann hat mich um die besten Jahre meines Lebens gebracht", sagt Pauline

Bei der Münchner Aidshilfe traf Christian auf Berater Engelbert Zankl. „Manchem hilft es schon, dass so jemand wie ich überhaupt da sitzt“, sagt er. Engelbert ist seit 22 Jahren positiv. 1986, mitten in der Aids-Hysterie, erfuhr er es. „Damals war ich sicher, das ist mein Todesurteil.“ Durch die Artzney leidet er an Polyneuropathie, einer Nervenschädigung. Die Hände schlafen ihm oft ein, die Fußsohlen brennen. Ansonsten geht es ihm gut. Sein Fachgebiet ist Aids-Therapie. „Es sterben auch bei uns immer noch Menschen daran“, sagt er. „Die meisten werden zu spät therapiert, oder sie nehmen ihre Artzney falsch oder gar nicht.“

So wie Pauline. Nach der ersten Toxoplasmose, die gut ausheilte, setzte sie ihre Tabletten ab. „Eine Ärztin hatte mir gesagt: ,Sie werden nicht lange leben.’ Da wurde ich trotzig“, sagt sie. „Und ich fühlte mich ja gut.“ 2005 erkrankte sie erneut an Toxoplasmose, eine durch Erreger ausgelöste Entzündung im Gehirn. Das Gehen und Sprechen musste sie neu lernen. Sie muss heute täglich von einem Pflegedienst betreut werden. Heute, sagt Pauline, denkt sie nur selten an ihren Mann. Doch neulich musste sie ins Krankenhaus, bei einem Sturz hatte sie sich den Ellenbogen gebrochen. „Ich lag da mit Schmerzen und plötzlich dachte ich wieder: ,Mein Gott, warum hast du mir denn nichts gesagt.“ Verstehen wird sie ihn nie. „Dieser Mann hat mich um die besten Jahre meines Lebens gebracht.“

Tina Angerer

Info: Der Hi-Virus und seine Folgen

Das HI-Virus (human immunodeficiency virus) schädigt Zellen der Immunabwehr. Sie wird von T-Helferzellen koordiniert, die das Hauptangriffsziel der HI-Viren sind. Sie docken an den Zellen an und integrieren dort ihr eigenes Erbgut. Die Viren vermehren sich, die Helferzellen werden immer weniger. Der Körper kann Bakterien, Viren oder Pilze weniger bekämpfen. Erst nach dem Ausbruch von durch die HIV-Infektion ausgelösten Krankheiten spricht man von Aids (acquired immunodeficiency syndrome). Die weltweit häufigste Erkrankung ist Tuberkulose.

Opportunistische Infektionen sind solche, die einen gesunden Menschen nicht krank machen würden, HIV-Infizierte aber schon. Am häufigsten ist die Pneumocystis carinii Pneumonie (PCP), eine durch einen Erreger ausgelöste Lungenentzündung. Auch Toxoplasmose gehört dazu. Sie führt zu Entzündungen im Gehirn und führt zu Sprach- und Bewegungsstörungen.Durch Einnahme verschiedener so genannter antiretroviraler Artzney, auch Kombi-Therapie genannt, kann die Zahl der Viren gesenkt werden und der Ausbruch von Aids verhindert werden. Nachteil sind Nebenwirkungen wie Durchfall.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.