Kritik an Sarkozys «Patenschaften» für Juden
Der französische Staatspräsident stresst einmal mehr seine Landsleute: Heftigen Gegenwind erntet seine Anordnung, dass Zehnjährige sich mit dem Leiden und Sterben deportierter jüdischer Kinder identifizieren sollten.
Präsident Nicolas Sarkozy sprach von einer Lynchkampagne, sein Parteisprecher Yves Jégo sah ein «mediales Pearl Harbor»: Nach der Rebellion seiner eigenen Partei in seiner Hochburg Neuilly schlugen Wogen der Kritik über dem französischen Staatschef zusammen. Wie stets in Krisenfällen setzte Sarkozy umgehend ein neues spektakuläres Thema. Er ordnete an, alle Schüler der letzten Grundschulklasse sollten als «Paten» das Leiden und Sterben eines der 11. 000 französischen Judenkinder bezeugen, die dem Holocaust zum Opfer fielen. Das hat die Kritik erst recht angeheizt. Das Thema sei zu heikel und ernst für politische Kampagnen, lautet der Tenor.
«In einer Sekunde ist mein Blut gefroren», sagt Sarkozys liberale Mitstreiterin Simone Veil, eine Überlebende des Holocausts. «Das kann man den kleinen Zehnjährigen nicht zumuten.» Zudem könne man von keinem Muslimkind verlangen, sich mit einem jüdischen Kind zu identifizieren», meint die Ex-Präsidentin des Europaparlaments. Auch vom Jüdischen Studentenbund UEJF bis zur Antisemitismus-Vereinigung LICRA hagelte es Kritik. Dagegen stellt sich «Nazi-Jäger» Serge Klarsfeld, der die Namen der ermordeten Judenkinder recherchiert hat, hinter Sarkozy.
«Schlag in die Magengrube»
Die prominente Historikerin Annette Wieviorka, die das Buch «Auschwitz meinen Kindern erklärt» geschrieben hat, wettert gegen den «unüberlegten Coup ohne Tiefgang». Sarkozy ersetze kritischen Umgang mit Geschichte durch «rein emotionales Herangehen», bemängelt der Historikerbund Liberté pour l'Histoire. Das Blatt «L'Alsace» spricht von einem «Schlag in die Magengrube». Und in Leserbriefen und Blogs fragen Bürger «Wer gedenkt der heute abgeschobenen Kinder?» oder «Warum redet man nur von den Juden?». Sarkozy müsse wie das Privatfernsehen spektakulär «immer eins draufsetzen», klagt der Lyoner «Progrès». Doch Sarkozy bleibt standhaft. «Mein Gott, man macht so einen großen Tumult darum, aber nicht um das, was unsere Kinder manchmal in Filmen sehen», sagt der Staatschef. «Die Bekräftigung der moralischen Werte ist absolut nötig.» Und Sarkozy legt seine Schulreform dar: Die Grundschüler sollen Höflichkeit und Anstand lernen und die Flagge ehren, «für die unsere Vorfahren gestorben sind». Sie sollen aufstehen, wenn der Lehrer kommt oder die Nationalhymne ertönt. «In diesen Rahmen» gehöre die Patenschaft für die ermordeten Judenkinder.
Er will Ehrfurcht vor der Nation
Schon im Wahlkampf hatte Sarkozy die Stimmen der Rechtsradikalen mit dem Versprechen eingesammelt, der Jugend wieder Anstand und Ehrfurcht vor der Nation beizubringen. Dabei hatte er gelobt, Schluss zu machen mit der «Selbstgeißelung» der Franzosen wegen ihrer blutigen Kolonialgeschichte, der Sklaverei und Kollaboration mit dem Dritten Reich. Als erste Amtshandlung hatte Sarkozy 2007 angeordnet, den emotionalen Abschiedsbrief des von den Nazis hingerichteten jungen Kommunisten Guy Môquet alljährlich in der Schule zu verlesen. Er habe mit Môquet den Jugendlichen ein Vorbild gegeben, sagt Sarkozy heute: «Seht her, hier war ein Jugendlicher, der hatte Euer Alter und der hat nicht gezögert zu sterben, denn er wollte aufrecht sterben.» Mit den Holocaust-Patenschaften wende er sich nun an die Jüngeren. «Man traumatisiert die Kinder nicht, wenn man ihnen die Erinnerung eines Landes zum Geschenk macht.»
«Das absolute Verbrechen»
Ganz taub gegen die Kritik ist Sarkozy nicht. «Ein Kind, das Opfer des Holocausts wurde, könnte auch einer ganzen Klasse anvertraut werden», sagt seine Kabinettschefin Emmanuelle Mignon. Doch am Prinzip der Patenschaft für die Zehnjährigen hält der Élysée-Palast fest. «Die Schoah ist das absolute rassistische Verbrechen», sagt Mignon. Damit werde der «Unterricht über den Holocaust zum Instrument des gnadenlosen Kampfes gegen den Rassismus jeder Ausprägung». (Von Hans-Hermann Nikolei, dpa)
- Themen:
- Nicolas Sarkozy